30 Congress DENTAL TRIBUNE Swiss Edition · Nr. 1+2/2011 · 11. Februar 2011 Parodontitis: Ein Buch mit Siegeln? Ende September 2010 fand die 40. Jahrestagung der SSP in Basel statt. International bekannte Referenten stellten die Diagnose und Therapie parodontaler Erkrankungen in den Mittelpunkt ihrer Vorträge (Dental Tribune berichtete). Teil III von Dr. med. dent. Lothar Frank. c e r e D t r e b r o N : o t o F SSP Jahrestagung 2011 - 41. Jahrestagung Die SSP Jahrestagung 2011 findet vom 1. bis 3. September 2011 in Zusammenarbeit mit der ISS (Implantat Stiftung Schweiz) in Bern statt. die Zusammenhänge internistischer Erkrankungen und der PAR. Für ko- ronare Herzkrankheiten gilt mittler- weile eine mit 30 % erhöhte Prävalenz als erwiesen (Dietrich et al. 2008), wobei ein direkter Effekt durch die Bakteriämie und ein indirekter Effekt durch die systemische Entzündung unterschieden wird. Wer dazu noch raucht oder Diabetiker ist, unterliegt einem verstärkenden Effekt der gege- benen Risiken. Dabei konnten To- netti et al. 2007 nachweisen, dass die erfolgreiche Therapie der PAR auch die Endothelfunktion verbessert. Interessant dabei ist, dass sich das Ri- siko beim Zahnlosen nicht mehr ver- ringert (Dietrich 2008). Für Frühgeburten hingegen lässt sich ein Zusammenhang mit der PAR nicht evident nachweisen. Neuerdings konnten jedoch wei- tere Zusammenhänge zwischen der Parodontitis und Niereninsuffizienz und auch rheumatologischen Erkran- kungen nachgewiesen werden. Insbe- sondere bei der rheumatologischen Arthritis ist ein mehr als doppelt so ho- hes Risiko nachgewiesen (Molitor et al. 2009). Dieser Effekt beruht auf der Citrullination von Proteinen durch Porphyromonas gingivalis. Wieviel PAR-Therapie braucht der Patient? Mit dem letzten Referenten, Prof. Kocher aus DE-Greifswald, sollte ge- klärt werden, wie viel PAR-Therapie der Patient braucht. Leider konnte auch ein weiter Streifzug durch die Literatur über das Thema keine genauen Auskünfte ge- ben, da leider auch im 21. Jahrhun- dert nicht genug Studien vorliegen. Sein Fazit bestand deshalb darin, der Prävention bestmögliche Aufmerk- samkeit zu schenken. Insgesamt bleibt die Parodontitis also weiter ein Buch mit Siegeln. Der Zahnarzt sollte sich vor Augen halten, dass es keine Rezepte für erfolgreiche Therapien gibt, sondern Pflichten zur gewissenhaften Diagnostik und aufmerksamen Planung, zur Sicher- heit vielleicht mit einer Prise Zurück- haltung verfeinert. DT Bildergalerie in der E-Paper-Version der Dental Tribune Swiss Edition unter: www.zwp-online.ch/publikationen Am Samstag, den 24. September, dem letzten Tag des Hauptkongresses, re- ferierte PD Dr. Ronald Jung (in Stell- vertretung für Prof. Hämmerle), ZZM Zürich, über das Thema „So- cket- bzw. Ridge preservation“. Jedem Zahnarzt ist das Problem von bis zu 50 % Konturverlustes der Gewebe (Talgen, Schopp 2003) nach einer Zahnextraktion bekannt. Auch bei ei- ner Sofortimplantation nach der Zahnextraktion kann dieser Kno- chenumbau nicht verhindert werden (Chen, Reynolds, Darby 2007). Wer allerdings mit der Implantation gleich eine Augmentation (mit oder ohne Membran) durchführt, kann den Gewebsverlust aber auf 20 Pro- zent minimieren. Zur Alveolenstabilisierung nach der Extraktion, also dem eigentlichen Kern seines Vortrages, zitiert Jung eine Studie von Chen, Buser und Darby aus dem Jahr 2009, die ver- schiedene Vorgehensweisen verglich, aber zu keiner Evidenz kam. Die PD Dr. Ronald Jung, ZZM Zürich, sprach über „Socket preservation“. Gruppe um Hürzeler konnte aber 2008 belegen, dass mittels Knochen- ersatz in der Alveole, kombiniert mit der sogenannten „Soft-tissue- Punch-Technik“ (Verschluss der Al- veole mittels vernähtem Transplantat aus dem Gaumen) und einer Adhä- sivbrücke der beste Erhalt von Hart- und Weichgewebe gelingt. Auch ei- gene Studien und Erfahrungen lies- sen Jung als einen überzeugten Ver- treter dieser Technik auftreten und nebenbei auch die Farbechtheit der Transplantate loben. Seinen Vortrag schmückte er mit schönen Bildern überzeugend gelös- ter Patientenfälle. Sein Fazit: Bei So- fortimplantation immer mit kam- merhaltenden Massnahmen kombi- nieren, bei zu erwartenden grossen Knochendefekten eher spät implan- tieren und in der Front zusätzlich Weichgewebe aufbauen. Aufgrund von vernünftigen Kosten-Nutzen- Verhältnissen kommen aber die ver- zögerte (6–8 Wochen) und die späte Implantation (nach Spontanhei- lung) zur Anwendung. Von Cyanobakterien und Barophilen Das interessanteste Referat des Tages, wenn nicht des Kongresses, hielt Prof. Flemming aus Duisburg (Chemiker und Mikrobiologe, sowie Geschäftsführer des Biofilm Centre in DE-Essen). Mit süffisantem Lä- cheln rang er den Zahnärzten die von deren Alltag geprägte Sichtweise der Bakterien ab. Denn es ging nicht um den roten oder orangenen Komplex, sondern zunächst einmal um Bakte- rien als uralte, einzellige Lebensform, die sich schon seit Langem in Gesell- schaften organisiert. Diese Sichtweise belegt Flemming mit Bildern verstei- nerter, fossiler Cyanobakterien, die in Riffen in Australien zu bewundern sind und ein Alter von 3,5 Milliarden Jahren aufweisen. Diese Einzeller leb- ten in grossen Kolonien und sind noch heute Mitbewohner auf unse- rem Planeten. Wahrscheinlich sind sie oder ihre Vorläufer es sogar gewe- sen, die uns die Möglichkeit zum Le- ben schenkten, denn durch ihre Fä- higkeit zur Fotosynthese haben sie und die aus ihnen entstandenen Fotosynthese betreibenden Pflanzen die Atmosphäre auf der Erde mit Sau- erstoff angereichert (oder verseucht). Doch es gibt weit mehr bakterielle Le- bensformen, wie psychrophile Bakte- rien, die bei Temperaturen unter Null Grad Celsius noch überleben, Baro- phile, die sich selbst in der Tiefsee „unter enormem Druck“ vermehren, Thermophile, die sogar Temperatu- ren von über 125 Grad tolerieren. So gibt es Bakterien selbst in Lebensräu- men, die man als Mensch nicht mehr als solche betrachtet, den Bakterien aber umso eher eine ökologische Ni- sche bieten, die ihnen kaum einer streitig macht. Aber damit nicht genug: Flem- ming schwärmte von den Bakterien als intelligente Lebensformen, da sie sich untereinander durch alle be- kannten Bindungskräfte vernetzen, untereinander Austausch von Erbgut oder Resistenzen betreiben können, eigentlich alles verdauen können und mit ihren Ausscheidungen oft gar an- dere Bakterienstämme ernähren, also Symbiosen eingehen. So entsteht ein zwar wenig geordnetes, aber äusserst effizientes und kaum eliminierbares Aggregat von Bakterien, eben der Biofilm, wie er buchstäblich auch in aller Munde vorkommt. Diese Schleimschichten in Form von Fil- men, Filzen, Flocken, Matten oder was auch immer zu entfernen ist, ist äusserst schwierig und selten wirk- lich effizient möglich, denn was nicht 100 % entfernbar ist und auch noch die Fähigkeit hat, nachzuwachsen, kann wohl nicht ausgerottet werden. Prof. Dr. Hans-Curt Flemming, DE-Duis- burg, tauchte ein in die Welt der Bakterien. Natürlich liess Flemming es nicht aus, auch eindrucksvolle Beispiele aus dem Alltag zu picken: Wussten Sie zum Beispiel, dass es in der Toilette weit weniger Bakterien gibt als in der Spüle? War Ihnen klar, dass das, was die mikrobiologischen Tests nach- weisen, nur der Teil der Bakterien ist, die sich kultivieren lassen? Wussten Sie, dass jeder feuchte Schwamm ein wahrer Brutkasten für die unbelieb- testen Mitbewohner ist? Dass der ers - te Patient am Montagmorgen trotz aller Bemühungen zur Praxishygiene aus mikrobiologischer Sicht den schlechtesten Termin hat? Dass Bak- terien auch auf und in uns so zahl- reich sind, dass sie bei einem DNA- Nachweis 90 % des untersuchten Erbgutes ausmachen würden? Wuss - ten Sie, dass grampositive Bakterien Sporen bilden und gramnegative Bakterien sich „totstellen“, bis wieder „gute Zeiten“ kommen und sie wie- der Kolonien bilden können? Dass dies bei der Trinkwasseraufbereitung im sogenannten Langsamsandfilter genutzt wird, indem das Wasser beim Durchsickern durch eine Sand- schicht von Bakterien gereinigt wird? Er erwähnte, dass bei grossen Niederschlagsmengen und Über- schwemmungen Seuchen auftreten, da aus dem Boden viele Pathogene ausgewaschen werden (praktisch der Umkehrschluss der Wasseraufberei- tung). Die zähe Allgegenwärtigkeit macht es auch aus, dass es auf der gan- zen Welt einen automatischen Abbau oder ein Recycling in der Natur gibt, die sich so stets wieder regenerieren kann. Ist das nicht eigentlich auch gut so? Mit diesem nachdenklich stim- menden Schlusssatz endete der sonst erheiternde Vortrag. Parodontitis: Zusammenhänge mit internistischen Erkrankungen Beim anschliessenden Referat ging es wieder um die eher ernsten Seiten der Parodontitis: Prof. Diet - rich aus Birmingham berichtete über Appenzeller Zahnärzte zu Besuch am Greifensee Vom analogen Einzelröntgenbild bis zum digitalen Volumentomogramm. Zum Abschluss des Jahres war der Studienzirkel Appenzeller Zahnärzte von ABC Dental und Prof. Joachim S. Hermann nach Nänikon zu einem Vortrag über „Radiologie heute“ ein- geladen. Nach der Begrüssung präsen- tierte Dr. Markus Thoma, Partner von Prof. Hermann, kurz die Praxis und das DSI DentaScience Institut, das die beiden Zahnärzte neben ihrer Praxis betreiben. Ebenfalls bedank- ten sich die Referenten bei ABC-Den- tal für die Unterstützung dieser Fort- bildung. Prof. Hermann begann seinen Prof. Dr. S. Hermann, Partner des DSI Den- taScience Institut in Nänikon am Greifensee. Vortrag mit einer kurzen Rückschau über die Radiologie der vergangenen Jahrzehnte und stellte einige von ihm initiierten Verbesserungen vor (zum Beispiel Halter für die Rechtwinkel- technik.) Sodann zeigte er eindrucksvoll die Technik und die damit verbunde- nen diagnostischen Möglichkeiten der heutigen Volumentomografie auf. Anhand einer Vielzahl von Fällen aus allen zahnmedizinischen Indika- tionen demonstrierte er die mittels DVT stark verbesserten und für die Behandlung und deren Beurteilung wichtigen Vorteile. Auch die Vorzüge bei der Patientenaufklärung wurden gezeigt. Bei der VT ist ein Skelettschä- del des Patienten integriert, drehbar um alle Achsen, sodass man dem Pa- tienten seine Pathologie anschaulich zeigen kann. Ausführlich ging Prof. Hermann auf Fälle ein, die sein Spezialgebiet, die Parodontologie, betreffen: Mit Anfangsbefund, Behandlungsablauf, Ergebnis und Prognose – ein ein- drücklicher Ausflug in dieses Fachge- biet. Mit einem feinen Apéro, bei dem viel diskutiert wurde, klang der Abend aus. DT