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International Science DENTALTRIBUNE German Edition · Nr. 9/2010 · 1. September 20104 Chronische orofaziale Schmerzen stellenimklinischenAlltageinegroße Herausforderung dar, die im Kontext der Akutbehandlung orofazialer Be- schwerden oft wenig Beachtung fin- den. Nebst Risikofaktoren seitens der Patienten ist die diagnostische Fach- kompetenz der Behandler mitent- scheidend, ob ein akuter Schmerz chronifiziert. Um therapeutische Fehlentscheidungen zu vermeiden, steht eine komplexe und ausführliche Anamnese und Befunderhebung im Vordergrund. Dabei müssen neben spezifischen Schmerzcharakteristika auch allgemeinmedizinische und psychosoziale Begleiterkrankungen (Komorbiditäten)erfasstwerden. Orofaziale Beschwerden umfas- sen Schmerzen im Versorgungs- bereich des Nervus trigeminalis. Weil Beschwerden u.a. infolge anato- mischer Überlappung und neura- ler Sensibilisierungsprozesse meist nicht auf einen Einzelast dieses Nerven begrenzt sind, gehören dazu nebst muskuloskelettalen und neuro- pathischen Schmerzen auch diverse Kopfweharten. Differenzialdiagnos- tisch sind Infektionen, Tumoren und Autoimmunprozesse auszuschließen, waseinestrukturierteVorgehensweise erfordert. Voraussetzungen: Mehrere Diagnosen Im Vordergrund steht dabei eine ausführliche Schmerzanamnese mit einer ersten Verdachtsdiagnose, die durch eine umfassende klinische Untersuchung ergänzt werden muss. Im Einzelfall sind weitere diagnosti- sche Screenings durchzuführen, die nicht selten einen interdisziplinären Ansatz fordern. Aus der Summe aller Informationen ergibt sich dann eine oder oft mehrere Diagnosen, die die Grundvoraussetzung für eine Thera- pieplanung und erste therapeutische Sofortmaßnahmendarstellen. Dabei erlauben akute Beschwer- den in der orofazialen Region mit eindeutigem klinischen Korrelat eine schnelle (zahn-)ärztliche Diagnostik und Therapie. Die Komplexität einer chronischen Symptomatik kann je- doch über eine schmerzbezogene Kurzanamnese nicht erfasst werden. ImGegenteil,dieGefahristgroß,dass eine Schnelldiagnostik zu einer kli- nischen Fehleinschätzung mit mögli- cherweise falschem Therapieansatz, resultierenden iatrogenen Zusatz- schäden und nicht selten forensi- schemNachspielführt.Somitstehtbei unklaren orofazialen Schmerzen eine ausführliche Anamnese im Zentrum des diagnostischen Prozesses. Die Grundlage dafür bietet ein detail- lierter Schmerzfragebogen (Abb. 1a und b), wie er beispielsweise im Rah- men der Sprechstunde für orofaziale Schmerzen am Zentrum für Zahn-, Mund- und Kieferheilkunde der Uni- versität Zürich (ZZMK) eingesetzt wird. Detaillierter Schmerzfragebogen Wichtige Schmerzcharakteris- tiken sind Stärke, Lokalisation, Qua- lität,Dauer,Zeitverlauf,Auslöser/Ein- flussfaktoren, Begleitsymptome und Beeinträchtigung. Aber auch Details zu bisherigen Behandlungen und der allgemeinmedizinische Hintergrund (Grunderkrankungen, Schlafstörung, Medikamente etc.) sowie insbeson- dere psychosoziale Angaben müssen erfragt werden. Dies ermöglicht ein umfassendes Erkennen der verschie- denen Schmerzdimensionen (sen- sorisch-diskriminativ, affektiv-emo- tional und kognitiv-behavioral) und führt zu einer ersten Liste an Ver- dachtsdiagnosen. Die folgende klini- sche Untersuchung sollte in Abhän- gigkeit des Beschwerdebildes auch umliegende Strukturen mit einbezie- hen und je nach Indikation durch zusätzliche Tests (Probeanästhesie, Bildgebung, Laborwerte etc.) ergänzt werden. Die Schwierigkeit einer eindeu- tigen Schmerzklassifizierung bei multiplen klinischen Symptomen orofazialer Schmerzen widerspiegelt sich in den teilweise uneinheitlichen diagnostischen Klassifikationssys- temen diverser internationaler Orga- nisationen, wie z.B. der International Association for the Study of Pain (1994), International Headache Society (2004), American Academy of Orofacial Pain (Okeson 1997) und Diagnostic Research Criteria for Temporomandibular Disorders (Dworkin und LeResche 1992). Im klinischen Alltag erleichtert eine Einteilung nach zeitlichem Schmerz- muster die diagnostische Zuordnung derBeschwerden(Tabelle1). In der Gruppe episodischer Be- schwerden von weniger als einer Minute stehen die Neuralgien, ins- besondere die Trigeminusneuralgie, im Vordergrund. Die blitzartig ein- schießenden, meist einseitigen Be- schwerden werden häufig durch externe Stimuli (Rasur,Zähneputzen, Reden) getriggert. Als Ursache ei- ner klassischen Trigeminusneuralgie wird typischerweise ein neurovasku- lärer Konflikt beobachtet, indem eine Arterie bei seinem Eintrittsbereich in den Hirnstamm den N. trigeminalis komprimiert. Zur Unterscheidung von einer symptomatischen Trigemi- nusneuralgie, die im Kontext einer Grunderkrankung (wie Tumoren oder multiple Sklerose) auftreten kann, ist eine kraniale Bildgebung (MRI) immer indiziert. Als Therapie der Wahl gelten Carbamazepin und Oxcarbazepin, aber auch Baclofen undLamotriginwerdenimklinischen Alltag verwendet. Bei therapierefrak- tären Fällen ist eine chirurgische Intervention (Ganglion Gasseri, Gamma Knife, mikrovaskuläre De- kompression) zu erwägen (Gronseth et al. 2008). Die Abgrenzung zu einer vertikalen Zahnfraktur, die häufig durch einen Loslassschmerz gekenn- zeichnetundradiologischschwerdar- stellbar ist, ist durch die unterschied- lichen Auslöser bei der Trigeminus- neuralgie(sieheoben)gegeben. Episodische Beschwerden Auch primäre Kopfschmerzen (Migräne, Spannungskopfschmerz, trigemino-autonome Kopfschmer- zen) imponieren durch ein episodi- sches Beschwerdebild mit schmerz- freienPhasen.TrittihrHauptschmerz im Kiefer- und Gesichtsbereich statt imKopfauf,istdieAbgrenzungzuan- derenKrankheitsbildernoftschwierig (Gauletal.2007und2008).Anamnes- tischistdasAuftretenvonautonomen Begleitsymptomen (Tränen-/Nasen- fluss, Augenrötung) daher entschei- dend. Die Therapie orientiert sich an den Empfehlungen für primäre Kopfschmerzen. CraniomandibuläreDysfunktionen Auch funktionsabhängig können episodische Beschwerden auftreten, namentlich bei der Arteriitis tempo- ralis und den Myoarthropathien (MAP) resp. Craniomandibulären Dysfunktionen (CMD). Bei ersterer erleichtert die Lokalisation der Be- schwerdensowieeinecharakteristisch stark erhöhte Blutsenkungsreaktion die Unterscheidung. Zudem tritt diese Erkrankung fast ausschließlich im höheren Alter (> 70 Jahre) auf. ➟ EPISODISCH mit schmerzfreien Phasen Attacken < 1 min • Trauma/Infekt • Vertikale Zahnfraktur • Kraniale Neuralgie • Herpes-Reaktivierung (Herpes Zoster) Minuten bis Stunden • Primäre Kopfschmerzen mit orofazialer Schmerzlokalisation (Migräne, trigemino-autonome Kopfschmerzen) (Vorwiegend) funktionsabhängig • Myoarthropathie (MAP) resp. Craniomandibuäre Dysfunktionen (CMD) • Arteriitis temporalis • Dissektionen der Karotis, AV-Fisteln • Tumoren (Kiefergelenke) PERSISTIEREND schwankend in der Intensität • Zahnschmerz (Pulpitis, Parodontitis, Pericoronitis) • Myoarthropathie (MAP) • Anhaltende idiopathische Zahn- und Gesichtsschmerzen • Deafferenzierungsschmerz • Postherpetische Neuralgie • Zungen- und Mundbrennen • Spannungskopfschmerz • Tumoren im Kopf und ORL-Bereich Tabelle 1: Klinische Differenzialdiagnose orofazialer Schmerzen nach Zeitmuster. ChronischeorofazialeSchmerzen–eineHerausforderungfürdenKliniker Die Komplexität chronisch orofazialer Schmerzkrankheiten erfordert einen interdisziplinären Diagnose- und Therapieansatz. Fachwissen sowie die Einschätzung der eigenen Kompetenz des Erstbehandlers sind für den Verlauf richtungweisend. Ein Fachbeitrag von Dr. Kathrin Kohout, Dr. Ursula Galli und Dr. Dominik Ettlin, Zürich. Abb.1aundb:DieerstenzweidesinsgesamtzehnSeitenumfassendenSchmerzfragebogensderZZMK-Schmerzsprechstunde. 1a 1b Foto:YuriArcurs Europäische Akademie für Sofort-Implantologie EASI® e.V. Referenten: Dr. Schweppe , Dr. Fankidejski, Dr. Hocheneder, Enrico Steger Tagungsort: Alpenresort Schwarz . Obermieming 141 . A- 6414 Mieming Infounterlagen anfordern: Tel. 0251-2373-600 oder im Internet unter: www.easident.com 5. Implantatforum am 02.-03.10.2010 (Sa./So.) in Mieming Aktuelle Konzepte der Implantation im athrophen Kiefer ANZEIGE

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