Please activate JavaScript!
Please install Adobe Flash Player, click here for download

Dental Tribune German Edition

Odontologie zeigt, dass es drei strukturell und funktionell völlig unterschiedliche Dentitionsmus- ter der Mammalia gibt, die sich aus der Homodontie der Fische, Am- phibien und Reptilien (Abb. 1–3) entwickelt haben: • Herbivores Gebiss mit Faltung der Zahnkronen; Kronenzement; ausgeprägte Eruptionsfähigkeit oder permanente Eruption bei Nagetieren; große Pulpakam- mern für lebenslange Dentinbil- dung (Abb. 4–11). • Carnivores Gebiss mit Zahnkro- nenspitzen der Reißzähne; ge- ringe oder fehlende Eruptions- fähigkeit nach Durchbruch, weil kein Abrasions- und Attritions- ausgleich notwendig ist; residuale Pulpakammern, weil keine Platz- halterfunktion für die lebens- lange Dentinbildung, ebenfalls als Abrasionsausgleich, benötigt wird (Abb. 12). • Omnivores Gebiss, wie das von z.B. Schweinen, Affen und Men- schen, ohne starke Kronenfal- tungen, sondern lediglich mit einigen Fissuren zum Abrasions- ausgleich; begrenzt permanente Eruption über das ganze Lebens- alter, auch zum Abrasionsaus- gleich; große Pulpakammern in der Jugend als Platzhalter für die okklusale und approximale Ab- rasion und Attrition über die gesamte Funktionsperiode (Abb. 13–14). Imnatürlichenherbivorenund carnivoren Gebiss sowohl bei Wild- als auch bei Haustieren ist Karies extrem selten,bei der Mehr- zahl der Spezies unbekannt oder experimentell nur unter unna- türlichen Bedingungen in nicht eröffneten Fissuren auslösbar (Hamster,Ratten).Aus dieser Sicht lag es auf der Hand, die hohe Kariesanfälligkeit des omnivoren Gebisses mit dem Grad der okklu- salen Abrasion und Attrition zu korrelieren (Tab. 3). Ein erhöhtes Kariesrisiko besteht dann, wenn okklusale Fissuren nicht ihrer biologischen Bestimmung gemäß eröffnet werden und wenn die ap- proximalen Schmelzflächen durch eingeschränkte Funktion und re- duzierte Mesialshift nicht attri- diert werden. Demzufolge ist die Zahnkaries eine zweifellos bakte- rielle Erkrankung, abhängig von Zell-zu-Zell-Kommunikationen der Bakterien untereinander, mit den Zellen der Mundhöhle, der Gingivazellen untereinander, also auch abhängig von der systemi- schenundlokalenImmunität,aber ausgelöst wird die Karies haupt- sächlichinnichteröffnetenFissuren und an nichtattridierten Appro- ximalflächen. Nach dem Konzept von Pro- gression und Stagnation verläuft die Karies in raschen Progressions- schüben und längeren Stagna- tionsphasen. Der Wechsel dieser Phasen und das jeweilige Lebens- alter bestimmen entscheidend die restaurative und endodontische Therapiestrategie. Wünschens- wert bleibt eine aktive und nonin- vasive Fluoridtherapie zur Remi- neralisation der Präkaries und der initialen Karies. Selbstverständlich ist die minimalinvasive Präpara- tion von der ersten Füllung bis zur letztenÜberkronungeinesZahnes. Und natürlich beeinflusst der Zustand des Platzhaltergewebes Pulpa die eventuell notwendige endodontische Therapie durch das Ausmaß der Reizdentinbildung, Dentikelbildungen, der Nekrose etc. DasevolutionsbiologischeMus- ter der menschlichen omnivoren Dentition bestimmt sowohl die besondere Struktur der Zähne als eben auch ihre Funktion. An der Struktur kann man wohl nichts ändern, aber die Funktion wird häufig genug vernachlässigt, dafür zahlt man einen Preis. • Zu weiche Nahrung und zu ge- ringeMastikationverringert(oder verhindert) die physiologische Abrasion und Attrition. • Zu harte Restaurationsmateria- lien (also härter als Schmelz oder Dentin) verhindern ebenso die natürliche (und notwendige!) Abrasion und Attrition. • Die dadurch hervorgerufene Re- duktion – oder gar Blockade – der begrenzt-permanenten Eruption der Zähne über ihre ganze Funk- tionsperiode reduziert zelluläre Abwehrleistungen der Odonto- blasten, Zementoblasten, Osteo- blasten, Fibrozyten etc. Nur Hypothesen? – Ja, gewiss, aber ein Blick zu unseren Nach- barn, den Tieren, ein biologischer Ansatz in der Interpretation expe- rimenteller Ergebnisse und – hier schließt sich der Kreis – ein Blick auf die epidemiologischen Daten zeigt schon die Validität einer ja auf der Hand liegenden Argumen- tationskette. Erschienenin:PNParodontologieNachrichten2/09 DT International Science DENTALTRIBUNE German Edition · Nr. 12/2010 · 1. Dezember 20106 ➟ Klinisches Fazit evolutionsbiologischer Betrachtungen • Menschliche Zähne der omnivo- ren Dentition mit nur semidi- phyodontem Wechsel (also nur Zähne 1–5, während 6–8 Zu- wachszähnesind)sindwegendes Ernährungsmusters weder hoch spezialisiert noch besonders re- generationsfähig. • Deshalb führt der bakterielle (und virale?) Angriff und die Abwehr des Wirtes zu klinisch bedeutenden Phasen der Stag- nation und Schüben der Pro- gression von Parodontalerkran- kungen, seit Jahrzehnten gut dokumentiert,imApril2009von Sigurd Sokransky wiederholt gut argumentiert. • Die Pathogenese der Zahnkaries unterliegt lebenslang den glei- chen langen Stagnationsphasen und kurzen Progressionsschü- ben,auch dabei ist das Hauptziel der Therapie die Verhütung zu- künftiger Progression. • Werden menschliche Zähne an der begrenzt-permanenten, aber lebenslangen Eruption durch Schienung, Verblockung, abra- sionsresistente keramische Res- taurationen oder zu harte Legie- rungen gehindert, steigt allein morphologisch das Kariesrisiko sowohl okklusal als auch appro- ximal, und eingeschränkt wird die Regenerationsleistung des Zahnbetts wie bei jeder anderen Immobilisierung auch. Prof.Dr.Dr.h.c.PeterGängler Fakultät für Gesundheit Department für Zahn-, Mund- und Kieferheilkunde UniversitätWitten/Herdecke Alfred-Herrhausen-Straße 50 58455Witten Tel.: 0 23 02/9 26-6 64 Fax: 0 23 02/9 26-6 61 peter.gaengler@uni-wh.de Kontakt ANZEIGE Abb. 9: Ponymolaren mit starker Faltung der Krone und Kronenzement, lebenslanger Dentinbildung bei herbivorer Ernährung, ausge- dehnte Pulpakammern.– Abb.10:Hasenmolaren mit partieller Schmelzreduktion und horizontaler Faltung für permanentesWachstum, dauerndeNeubildungvonSchmelz,DentinundKronenzementzumAbrasionsausgleichbeiherbivorenNagetieren.–Abb.11:Igelmolaren mit größeren Pulpakammern als Platzhalter für die Dentinbildung zumAbrasionsausgleich bei insectivorer Dentition.– Abb.12: Jugend- licher Tigermolar mit typischer extrem schmaler Pulpakammer bei sehr geringer Abrasion eines carnivoren Gebisses, Platzhalterfunktion deshalb unbedeutend. – Abb.13: JugendlicherWildschweinmolar mit geringer, aber typischer Kronenfaltung und größerer Pulpakammer fürlebenslangeDentinbildungals(relativgeringerer)AbrasionsausgleichineinemomnivorenGebiss.–Abb.14:JugendlicheMakakenmo- laren mit den typischen Charakteristika der omnivoren Dentition: weite Pulpakammern bei mäßiger Kronenfaltung, Abrasionsausgleich durch Dentinbildung bis zum okklusalen Schmelzverlust. 9 10 11 12 13 14