I D E N T I T Y 2 _ 10 | 9 immerhin 78 Artikel. Ein anderer, treffenderer Begriff, der auch in zahlreichen medizinischen Artikeln verwendet wird, lautet „phenotype“, defi niert als „das gesamte Erscheinungsbild eines Individuums zu einem bestimmten Zeitpunkt (…)“. In der oben vorgestellten Studie zum Abstand zwischen krestalem Knochen und Schmelzzementgrenze wurde kein Unterschied zwischen den Geschlechtern festgestellt. Dage- gen fand eine andere Arbeitsgruppe, dass die freie Gingiva von mittleren Frontzähnen bei 84 Prozent der Männer dick genug ist, um eine Parodontalsonde zu verdecken. Bei Frauen waren es nur 45 Prozent. Das bedeutet, dass Frauen häufi ger eine dünne Gingiva haben als Männer. Da bei dünnem Gewebe eher mit Rezessionen gerechnet werden muss, sollte also bei Frauen verstärkt auf die Gewebedicke geachtet werden. Das häufi g praktizierte Einteilen aller Patienten in zwei Grup- pen, mit „dickem Gewebe und quadratischen Zähnen“ und „dünnem Gewebe mit schmalen Zähnen“, ist problematisch. So bestätigte die oben zitierte Untersuchung zur geschlechts- spezifi sch unterschiedlichen Gingivadicke zwar, dass es diese beiden Grundtypen gibt. Sie waren mit jeweils einem Drittel der 100 gesunden Probanden vertreten. Bei dem verblei- benden Drittel hatten die Probanden dagegen schmale Zähne, aber eine vergleichsweise dicke Gingiva. Zudem weisen die statistisch ermittelten Gruppen je nach Untersuchung abwei- chende Merkmalskombinationen auf. Dies führen die Autoren auch auf genetische oder ethnische Ursachen zurück. FAZIT UND KLINISCHE RELEVANZ Jeder Patient hat in Bezug auf seine parodontalen Gewebe eine ganz individuelle Kombination von Ausprägungen. Diese lassen sich zum Teil metrisch, palpatorisch oder visuell erfas- sen und in die therapeutischen Überlegungen einbeziehen. Von Bedeutung sind aber auch Parameter wie Abwehrlage und Heilungsmuster, parodontalpathologische und allgemeinme- dizinische Aspekte. Konkrete Empfehlungen für alle denkbaren Kombinationen der relevanten Parameter zu geben, scheint aus einleuchtenden Gründen kaum möglich. Es lässt sich aber ein orientierender klinischer Rahmen formulieren, der in Bezug auf wichtige Merkmale oder Merkmalskombinationen zu beachten ist. Ein solcher Rahmen wird Thema von Teil 2 dieses Beitrags in der nächsten iDENTity-Ausgabe sein. ■ Literatur auf Anfrage beim Verfasser 1_ 2_ 3_ 4_ Bei einer 19-jährigen Patientin mit Nichtanlage der Zähne 12 und 22 fallen die sehr schmale befestigte Gingiva und das starke, hoch an- setzende Lippenbändchen auf (Foto: Pablo Hess, Kelsterbach, Deutschland). Mithilfe von Bone Spreading, zwei Ankylos-Implantaten, Cercon-Abutments und Kronen konnte die Situation sehr schön gelöst werden (Foto: Pablo Hess, Kelster- bach, Deutschland). Ein schmales Band befes- tigter Gingiva und hoch inserierende Muskelzüge können Weichgewebs- management und Implanta- tionen erheblich erschweren (Foto: John Orloff, København, Dänemark). Kurze, gewölbte Kronen, dünne Weichgewebe und gleichzeitig sehr schmale befestigte Gingiva bei einem ostasiatischen Patienten: individuell-genetisch und ethnisch bedingte Unter- schiede haben Auswirkungen auf die Implantattherapie (Foto: Dr. Thomas Hanser, Olsberg). Dr. Jan Hermann Koch Dental Text and Consultancy Services Parkstraße 14, 85356 Freising | D Fon +49 8161 425 10, Fax +49 8161 425 20 janh.koch@dental-journalist.de www.dental-journalist.de