Please activate JavaScript!
Please install Adobe Flash Player, click here for download

Dental Tribune Austrian Edition 12/10

DENTALTRIBUNE Austrian Edition · Nr. 12/2010 · 10. Dezember 2010 International Science 7 KREMS – Die Auswertung der relevanten Fachliteratur be- züglich der Ätiologie der Cra- niomandibulären Dysfunktion (CMD) belegt vier auslösende Störfaktoren und zeigt deutlich die Multikausalität wie die mul- tifaktorielleGenesederErkran- kung. In diesem Beitrag werden die vier folgenden Ursachen be- schrieben, die natürlich auch als Kombinationen auftreten kön- nen: dentookklusale, trauma- tisch-chirurgische, orthopädi- sche und psychosoziale Störfak- toren. Störfaktoren Dentookklusale Störfaktoren Die dentookklusalen und die traumatisch-chirurgischen Stör- faktoren fallen ins Fachgebiet der Zahnmedizin beziehungsweise der Mund-Kiefer-Gesichtschirur- gie, der Pädiatrie, der Logopädie, der Orthopädie und der Manuel- len Medizin. In diesem Artikel werdendiedentookklusalenStör- faktoren den nicht entwicklungs- bedingten, also den durch iatro- gen-zahnärztliche Intervention, bedingten Faktoren zugeordnet. Sie betreffen demnach dentale Gleithindernisse, Hyperbalan- cen, Frühkontakte, Non- bzw. In- fraokklusion, Zwangsokklusion mit Kondylusverlagerung (fal- sche Bisslagen oder falsche Kie- ferrelationen), Zahnverluste (vor allemderMolaren),Zahnkippun- gen oder Zahnwanderungen und fehlerhafte kieferorthopädische Behandlungen. Zahnärztliche EingriffewährenddesKiefer-und Muskelwachstums der beiden Dentitionen können wegen der biologischen Formanpassungsfä- higkeit des sich entwickelnden Organismus wesentlich weitrei- chendere Schäden verursachen als entsprechende Behandlungen beim Erwachsenen, dessen Kno- chen- und Muskelgewebe nur noch begrenzt umbaubar ist. Das Problem des iatrogenen, kiefer- orthopädischen Therapiefehlers liegt in der Beeinflussung der natürlichen Zahnangulationen. Dabei stellen Korrekturen der Achsenlage des oberen ersten MolarendengrößtenRisikofaktor einer dentookklusalen Störung dar, weil der 6-Jahr-Molar die Angulationen aller nach ihm durchbrechenden Ersatz- und Zuwachszähne mit Ausnahme der Frontzähne beeinflusst. So- mit muss die Einebnung der Spee’schen Kurve, wie sie bei der Straight-Wire-Technik ange- strebt wird, im juristischen Sinn als Behandlungsfehler angese- hen werden. Traumatisch-chirurgische Störfaktoren Die traumatisch-chirurgi- schen Störfaktoren betreffen me- chanischeVerletzungenundchir- urgische Eingriffe an den Kiefern (vor allem am aufsteigenden Ast und am Kondylus), an den Zäh- nen, am Kiefergelenk und an den Wirbelsäulengelenken sowie der assoziierten Muskulatur mit der Folge der Ausbildung von Grö- ßen-, Form- und Lageverände- rungen sowie von Unterentwick- lungen (z.B. Kondylus-Asymme- trien) nach abgeschlossener Wundheilung. Orthopädische Störfaktoren Die orthopädischen Störfakto- rensindimFachgebietderOrtho- pädie, der Manuellen Medizin, der Pädiatrie, der Logopädie, der Zahnmedizin und der Mund-Kie- fer-Gesichtschirurgie angesie- delt.Siebetreffenprä-undpostna- tale Entwicklungsfehler und er- worbene Erkrankungen der Kno- chen, Gelenke und Muskeln der Wirbelsäule mit resultierenden Haltungs- wie Stellungsfehlern der Halswirbelsäule einschließ- lich Entwicklungsfehler und er- worbenen Erkrankungen der Kiefer und Zähne sowie Entwick- lungsfehler und erworbene Er- krankungen des Kiefergelenkes, der Kaumuskulatur und der Zunge (z.B. als Wachstumshem- mungdurchDaumenlutschhabits mitFolgederPersistenzdesinfan- tilen Schluckens). Psychosoziale Störfaktoren Die psychosozialen Störfakto- ren werden naturgemäß dem Fachgebiet der Neurologie, Psy- chiatrie und der Psychologie zu- geordnet. Überraschenderweise sind nur sehr wenige Studien ver- öffentlicht, die sich mit der Frage nach der epidemiologischen Ver- teilung bzw. der demografischen Häufigkeit der benannten Stör- faktoren beschäftigen. Es liegen aber aktuelle Daten einer zuneh- menden Dominanz der psycho- sozialen Störfaktoren im Verlauf der vergangenen Jahrzehnte vor. Über welche Mechanismen psychosozialer Stress (als Syn- onym für Störfaktoren) zur Ent- wicklung eines CMD beitragen kann, wurde von Gameiro et al. in einerReviewdargestellt.1 Danach kann Stress die Prozesse der Schmerzleitung und -wahrneh- mung im Sinne einer psychoso- matischenProjektiontiefgreifend modulieren. Im Weiteren kann der Bruxismus als Stressbewälti- gungsstrategie angesehen wer- den und dem Schutz vor chroni- schen Stresskrankheiten dienen. Das unphysiologisch ver- stärkte Zähneknirschen und -pressen entsteht durch eine Stö- rung in den neuromuskulären Steuerungskreisen des Kauzen- trums im Gehirn (Abb. 1) und kann überzeugend mit dem transaktionalen Stressmodell von Lazarus und Laurier erklärt wer- den, wonach jede Person über eine individuelle Stressbewälti- gungskompetenz (aktives und passives Coping) verfügt.2 Bei der aktiven Bewältigung erfolgt die Reaktionaufsomatisch-muskulä- rer Ebene als archaische Kampf- Flucht-Reaktion. Genauso wie die psychosozia- len Stressfaktoren erzeugen auch diedreianderenStörfaktoreneine neuronal kontrollierte Muskelhy- peraktivität oder Hypertonisie- rung der Kaumuskulatur (Abb. 2) mit fehlenden Ruhephasen, die mit dem Terminus Parafunktio- nen definiert ist und primäre StrukturschädenanderMuskula- tur auslöst. Diese sind dann die Ursache für sekundäre Folge- schäden an den Kiefergelenken, Parodontien, Zähnen, den an- grenzendenWeichteilensowiean der Nackenmuskulatur und an den Halswirbelsäulengelenken. Fazit Aus der Sicht der behandeln- den Ärzte/-innen und Zahn- ärzte/-innenmussdiesymptoma- tische Therapie vor allem der chronifizierten CMD in einer Re- laxation der Muskulatur beste- hen. Dafür steht den Physiothera- peuten ein breites Spektrum an manuellen und physikalischen Behandlungsmethoden zur Ver- fügung, sodass eine Zusammen- arbeitunerlässlichfüreinenlang- fristigen Therapieerfolg zu sein scheint. Des Weiteren sind phar- makologische Behandlungsop- tionen im Sinne von intramusku- lären Heilinjektionen von Lokal- anästhetika, Muskelrelaxantien und Botulinustoxin beschrieben worden, deren Applikation aber in die Hände erfahrener Fach- leute gehört. Der Befund einer fehl- oder überbelasteten Kaumuskulatur wird immer bei der Diagnose des Krankheitsbildes der cranioman- dibulären Dysfunktion (CMD) er- hoben. Bei den betroffenen Pa- tienten/-innen wird aber häufig auch eine Überbelastung der Na- cken-,Hals-undseltenerauchder Rückenmuskulatur festgestellt. Nach heutigem Erkenntnisstand muss daher die CMD um Funk- tionsstörungen bzw. Schädigun- gen der Hals-, Nacken- und (mit Einschränkungen) Rückenmus- kulatur sowie der zugehörigen Wirbelsäulengelenke erweitert werden. Da der Begriff Dysfunk- tion nur einen Aspekt der Er- krankung widerspiegelt, sollte das Akronym CMCS (Cranioman- dibuläres Cervicales Syndrom) zur Benennung verwendet wer- den. Literaturverzeichnis: 1) Gameiro G. et al., Nociception and anxiety-like behavior in rats sub- mitted to different periods of restraint stress. In: Physiol. Behav. 2006; 87. S. 643–649. 2)Lazarus,R.S.undLaunier,R.,Streß- bezogene Transaktion zwischen Per- son und Umwelt. In: Nitsch, J.R., Stress – Theorien, Untersuchungen, Maßnahmen, Bern 1981. S. 213-259. DT Die vier Faktoren der Fehlregulationen Craniomandibuläre Dysfunktionen werden durch Störfaktoren begünstigt. von Prof. Dr. Udo Stratmann Prof. Dr. Udo Stratmann Danube Private University Leiter der Anatomie Udo.Stratmann@ukmuenster.de Kontakt Abb.1: Regelkreismodell zur neuronalen Steuerung der Mastikation. (Abb.: Stratmann) Abb.2: Präparat des M. masseter (1+2), des M. temporalis (3) und des Musculus buccinator (4). (Abb.: Schattauer-Verlag) Tr. dento-rubro-thalamo-corticalis Tr. corticonud earis Kapselrezeptoren Muskelspindel Tr. trigeminocerebellaris Tr. trigeminocerebellaris Tr. trigemino-thalamo-corticalis Tr. occipito-ponto-cerebellaris Tr. parieto-ponto-cerebellaris Assoziativer Cortex Gyrus postcentralisGyrus praecentralis Kauzentrum Desmodontal- und Mundschleim- hautrezeptoren 3 2 14 „Die Einebnung der Spee’schen Kurve muss, wie sie bei der Straight-Wire-Technik angestrebt wird, im juristischen Sinn als Behandlungsfehler angesehen werden.“ „Aus der Sicht der behandelnden Ärzte/-innen und Zahnärzte/-innen muss die symptomatische Therapie vor allem der chronifizierten CMD in einer Relaxation der Muskulatur bestehen.“