Please activate JavaScript!
Please install Adobe Flash Player, click here for download

Dental Tribune Austrian Edition

Legal Question DENTALTRIBUNE Austrian Edition · Nr. 1+2/2011 · 11. Februar 20116 Der Kieferorthopäde Dr. Christian Jung* übernimmt vom Kieferortho- päden Dr. Franz Alt die Ordination mitderAuflage,dessenPatienten/-in- nenweiterundzuEndezubehandeln. In den erstenWochen nach der Ordi- nationsübergabe lernt Jung auch den minderjährigenPatientenPeterPlak- viel bei einem aus Organisations- gründen nur kurz anberaumten Ter- min kennen. Der Kieferorthopäde, der zuvor noch keine Gelegenheit ge- funden hatte, sich mit den Behand- lungsunterlagen des jungen Patien- ten zu befassen, sieht im Moment keine Notwendigkeit für eine akute Änderung der bisher benutzten festsitzenden Apparatur, ermahnt schnell einmal zu besserer Mundhy- giene und beschließt, beim nächsten Termin in einem Monat die Evalua- tion des Falles vorbereitet zu haben. Dann will der Kieferorthopäde die vermutlich nötigen – Alt führte, höflich formuliert, eine veraltete Be- handlung durch – behandlungstech- nischenVeränderungen vornehmen. Peter erscheint aber zum vereinbar- ten nächsten Behandlungstermin nicht.DarüberistJungimGrundege- nommen nicht unglücklich, da ihn diegesamteÜbernahmesituationoh- nehinzeitlichgewaltig(über-)fordert. Ein halbes Jahr später erscheint Peter mitseinerMutterdochinderOrdina- tion. Dabei, allerdings erst gegen Ende der im folgenden geschilderten Auseinandersetzung, erfährt Dr. Jung, dass Peter in der Zwischenzeit eine sehr schwere Krankheit über- standenhabe.VorderhandistderKie- ferorthopäde nur über die Akkumu- lierung von Plaque, unter der Peters Brackets und Bögen versteckt sind, entsetzt. In Anwesenheit der Mutter schabt Dr. Jung an einer Stelle die Plaque weg, zeigt das Ergebnis der Mutter, weist auf die entstandenen tiefen Schmelzschäden (bis ins Den- tin) hin, und spricht ein paar fach- männisch kritische Worte, die sich jeder Leser selbst ausmalen kann. Die Mutter reagiert aggressiv empört und fragt vorwurfsvoll, ob Dr. Jung damit sagen wolle, ihr Sohn könne nicht Zähneputzen und sei gewisser- maßen ein behindertes oder debiles Kind. Auch habe die Familie keine Kosten gescheut und eine teure elek- trische Zahnbürste nach dem letzten Stand der Technik gekauft. Jung er- widert,erhabenichtgesagt,dassPeter nicht Zähneputzen könne, sondern, dass er dies nicht getan habe, und schabt zum Beweis an einer anderen Stelle noch mehr Plaque weg – doch die Mutter schaut bewusst nicht hin. Der Kieferorthopäde gibt der Assis- tentin laut die Anweisung, die Bögen zu entfernen, damit Peters Mundhy- giene leichter gelingen könne (ob- wohl die Bögen des Dr. Alt durchaus kein kompliziertes Drahtgewirr dar- stellen),und ordnet einen neuen Ter- minin14Tagenan,fürden,beieinem sauberenMundraum,vielArbeitszeit einzutragen sei. Die Mutter verbietet allerdings mit erhobener Stimme die geplanteEntfernungderBögen,doch setzt sich Dr.Jung mit ebenfalls ener- giegeladener Stimme durch: Die As- sistentin entfernt die Drahtbögen. Diese Bögen, denen man höchstens den Sinn von „Stabilisierung der ge- gebenenunperfektenZahnbogenver- hältnisse“ zusprechen könnte – aber, juridisch gesehen, immerhin dies –, werdendemPatientennichtmitgege- ben. „Wenn Sie sich nicht an meine Anweisungenhaltenwollen,dannbe- handle ich Ihren Sohn nicht, damit dasklarist“,sinddieletztenWortevon Dr. Jung. Die Mutter beschwert sich mit scharfen Worten über die Unver- schämtheit dahergelaufener zahn- ärztlicher Frischlinge,lobt die warm- herzige Betreuung durch eine Kory- phäe wie Alt und verlässt, sichtlich grollend und ohne Gruß, mit ihrem Sohn die Ordination. Und erscheint in14Tagenwiederumnicht.Darüber ist Jung durchaus nicht unglücklich. Denn: Er ist zum Abbruch der Be- handlung entschlossen und ist sich der Möglichkeiten des Paragrafen 38 des Zahnärztegesetzes (Rücktritt von der Behandlung) bewusst.Die foren- sische Beurteilung der geschilderten Situation erfordert allerdings Auf- merksamkeitinmehrerenBereichen. RichtigesVerhalten Nun,schön der Reihe nach. 1. Bei der Übernahme einer Ordina- tion mit Patienten/-innen, die in laufender Behandlung stehen, das Übliche in der Kieferorthopädie oder gleichermaßen bei Über- nahme eines Transferfalles, haftet derneueBesitzerabdemZeitpunkt der Übernahme, nennen wir dies denTagX,jedochnichtfürdas,was zuvorgeschah(oderleidernichtge- schah). 2. Der Übernehmer ist verpflichtet, sichunverzüglicheineigenesUrteil über die richtige weitere Behand- lung ab dem Tag X zu verschaffen. Er würde solidarisch mithaften, wenn er einen fehlerhaften Be- handlungsplan weiter und zu Ende führen würde.Kann sich der Über- nehmermitdembisherigenVorge- hen nicht identifizieren, kann das zu schier katastrophalen Situatio- nen wie Behandlungsplanumkehr, gewaltigenEnttäuschungenderPa- tienten/-innenundzuargemZwist unter Kollegen/-innen (Dr. Jung gegenDr.Alt)führen–oderzurhe- torischen Seiltänzen auf psycholo- gischen Dschungelpfaden und zu heiklen forensischen Risiken sei- tens des Übernehmers. 3. FürdaseigeneunverzüglicheUrteil fehlt bei Transferfällen die Zeit nicht, bei Praxisübernahme ver- mutlich schon. Die zumutbare Zeittoleranzfürdieauchforensisch qualifizierte Übernahme der Pa- tienten/-innen(siehePunkt2)sehe ich innerhalb der ersten Wochen nach dem im Übergabevertrag fi- xierten Tag X. Die Anzahl der Wo- chen muss einstellig sein – binnen zehnWochenmussmanalleinlau- fender Behandlung übernomme- nen Patienten/-innen kennenge- lernthaben,willmanderSorgfalts- pflicht genügen. Aber beim aller- ersten Termin müssen noch keine korrigierend-aktiven Maßnahmen gesetzt werden, die der anderen fachlichen Überzeugung des über- nehmenden Kieferorthopäden entspringen (ausgenommen sind GegenmaßnahmenbeiakutenPro- blemen wie stechende Drähte).So- mitwarendasallerersteKennenler- nenunddasdarauf folgendeZutei- len eines zeitintensiven Behand- lungstermins einen Monat später für Peter Plakviel korrekt. 4. Das stillschweigende Tolerieren, dasdurchdenStressinderOrdina- tion begünstigt wird, des Nichter- scheinens von Peter war nicht kor- rekt. 5. Die Entfernung der Bögen gegen den Willen der Mutter war nicht korrekt. Ein Patient, hier rechtlich vertretendurchdieobsorgeberech- tigte Mutter, darf zu keiner ärzt- lichen Behandlung gezwungen werden (dieAusnahmen in lebens- bedrohlichen Grenzsituationen spielen hier keine Rolle). 6. Bei den Punkten 4 und 5 greift der Paragraf 18Punkt6desZahnärzte- gesetzes: „… haben insbesondere aufzuklärenüberdieFolgenderBe- handlung sowie Folgen des Unter- bleibens dieser Behandlung.“ 7. Auch der Rücktritt von der Be- handlung (landläufig als Behand- lungsabbruch bezeichnet) bedarf etwas mehr, als aufatmend die Hände in den Schoß zu legen und zu murmeln: „Wie schön, der kommtnichtmehr.“Dennwielau- tet es im Gesetz? „Beabsichtigt ein/eine Angehöriger/Angehörige des zahnärztlichen Berufes von ei- nerBehandlungzurückzutreten,so hat er/sie seinen/ihren Rücktritt dem/der betroffenen Patienten/ Patientin oder dessen gesetzlichen Vertreter/Vertreterin rechtzeitig zu informieren.“ Für kieferorthopä- dische Patienten/-innen stelle ich mir unter „rechtzeitig“ eine Min- destfristvondreiMonatenvor.Da- mit wäre es bemühten Patienten/ -innen vielleicht möglich,die übli- cherweise einmonatigen Abstände von Behandlungsterminen ohne Unterbrechung zu organisieren. Würde der zurücktretende Kie- ferorthopäde ad hoc sagen: „Und zum nächsten Termin in einem MonatbrauchenSiegarnichtmehr zu mir zu kommen – es reicht!“,er- scheint es für den Patienten wenig realistisch, zeitgerecht eine neue Ordination zu finden. Und auch die übernehmende Ordination braucht Zeit, um sich zu orientie- renundeinenBehandlungsplanzu entwerfen,den sie vertreten kann. 8. Wenn das Ausmaß der Verstim- mung eine sachgerechte mündli- che Information nicht zulässt (das gilt sowohl für die Ankündigung des Behandlungsabbruches als auch für die gebotene Aufklärung über die Folgen versäumter Ter- mine) oder dies durch das Termin- versäumnis des Patienten nicht möglich ist,dann lautet die übliche Empfehlung juridisch Erfahrener: „Schicken Sie einen eingeschriebe- nen Brief!“ Textbausteine für einen solchen Brief habe ich zusammen- gestellt. Je nach Situation könnte man sie so zusammenfügen, dass damit auch eine gezielte „Lenkung des weiteren Schicksals“ versucht wird: „beruhigend und einlen- kend“, „verschärfend und dro- hend“oder„endgültigunwiderruf- lich hart auf hart“. Doch ein Be- handlungsabbruch bedeutet meist psychologischer Horror. Daher wird man wohl bestrebt sein, den WorstCasetunlichstzuvermeiden. Aber das Schicksal könnte es auch einmal anders wollen. Der Autor wird heuer am 13. Mai ein „Forensik-IntensivseminarZMK“und am14.Maiein„Forensik-Spezialsemi- nar KFO“ in Salzburg abhalten. Inter- essierte können sich beim Univ.-Prof. DDr.Richter melden. *Alle genannten Namen sind frei erfunden. DT WenneineBehandlungnichtmehrmöglichist Manchmal scheint es keinen Ausweg zu geben: Der Ton zwischen Patienten und Behandler ist rau, das Vertrauensverhältnis gestört. Eine weitere Behandlung ist für Zahnarzt oder Kieferorthopäden ein Albtraum, ein Abbruch scheint die Lösung zu sein. Beim Worst Case müssen rechtliche Bedingungen beachtet werden. Von Univ.-Prof. DDr. Martin Richter. Univ.-Prof.DDr.MartinRichter Dr.Martin.Richter@aon.at Kontakt DenkbareTextbausteine für einen eingeschriebenen Brief. Foto:DiegoCervo In einigen wenigen Fällen gehen die Positionen über die Behandlung auseinander,Zahnarzt und Patient haben alles andere als ein gutes Verhältnis.