Please activate JavaScript!
Please install Adobe Flash Player, click here for download

Dental Tribune German Edition

Zahnärztlich-chirurgische Patienten können entsprechend ihrem Behand- lungsrisiko in Risikogruppen eingeteilt werden. Durch Anamnese und adä- quate klinische Untersuchung des Pa- tientenkanndasBehandlungsrisikovor Beginn einer zahnärztlichen Therapie- maßnahme abgeschätzt werden. In einem Anamnesefragebogen sollten folgendeAspekte bzw.Fragen vertreten sein(Sproatetal.2006): • HabenoderhattenSieHerzbeschwer- den (Angina pectoris oder Myokard- infarkt)? • Haben/HattenSieLungenerkrankun- gen(Asthma,Bronchitis)? • Andere Erkrankungen (Diabetes, Epilepsie,Hepatitis)? • HabenSieAllergien? • Müssen Sie regelmäßig Medikamente einnehmen? • Mussten Sie sich in letzter Zeit einer Operationunterziehen? • Kommen gehäuft Erkrankungen in IhrerFamilievor? Alle Patienten sollten zusätzlich nach ihrem Risikoverhalten befragt werden (Alkohol, Nikotin). Beim Rauchen hat sich die Berechnung des konsumierten Nikotins in sogenannte „pack-years“ bewährt (ein „pack-year“ entsprichteinemKonsumvon20Ziga- retten pro Tag während eines Jahres). Sobaldentschiedenwordenist,dassder PatientinderZahnarztpraxisbehandelt werden kann, ist es sinnvoll, ihn einer von drei Risikogruppen zuzuordnen: hohes,mittleresoderniedrigesRisiko. Bei Patienten, die ein hohes Be- handlungsrisiko tragen, muss aktiv vor der zahnärztlichen Behandlung eine Maßnahme durchgeführt werden (z.B.AntibiotikagabeimRahmeneiner Endokarditisprophylaxe, Einstellen des INR-Wertes vor zahnärztlich-chir- urgischen Behandlungsmaßnahmen). PatientenmiteinemmittlerenBehand- lungsrisikoleidenaneinersystemischen Erkrankung, die kontrolliert werden muss, aber für die geplanten zahnärzt- lichen Behandlungen kein unmittel- bares Problem darstellt (z.B. gut einge- stellterDiabetesmellitus,guteingestell- tesAsthmabronchiale). Der Großteil der Patienten kann der dritten Gruppe mit niedrigem Behandlungsrisikozugeordnetwerden. Diese Patienten leiden nicht unter sys- temischen Erkrankungen. Durch eine periodische Aktualisierung der Anam- nese kann die Zuteilung eines be- stimmten Patienten zu den einzelnen Risikogruppenüberprüftundallenfalls modifiziert werden (z.B. die Implan- tation einer künstlichen Herzklappe erfordert nun eine dauernde oder tem- poräreoraleAntikoagulation). BeiderErstellungdiesespatienten- spezifischen Risikoprofils ist die enge Kommunikation mit dem behandeln- denHausarztdesPatientenunumgäng- lich.In der Folge werden die häufigsten Allgemeinerkrankungen, die für die zahnärztliche Behandlung vorberei- tende oder zusätzliche Maßnahmen erfordern (hohes Behandlungsrisiko), besprochen: • Herz-Kreislauf-Erkrankungen • EndokrineErkrankungen • HämatologischeErkrankungen • PatientenmitImmunsuppression • Tumorpatienten. Herz-Kreislauf-Erkrankungen Hypertonie Blutdruckwerte,diedauerndhöher sind als 140/90 mmHg, werden per definitionem als hyperton bezeichnet. Eine medikamentös gut eingestellte Hypertonie stellt für die zahnärztliche Therapie kein Behandlungsrisiko dar. Zubeachtenist,dassalleindurchdieim Rahmen der zahnärztlichen Behand- lung auftretende Stresssituation und durch eine inadäquate postoperative Analgesie erhöhte Blutdruckwerte auf- treten können. In der Folge steigt das intra-undpostoperativeBlutungsrisiko. Aus zahnärztlicher Sicht ist deshalb die intraoperative lokale Anästhesie, post- operative Analgesie sowie die Durch- führunglokalerblutstillenderMaßnah- men(vgl.Infokasten)entscheidend. IschämischeHerzerkrankungen Zustand nach Revaskularisierung (aortokoronarer Bypass): Postoperativ werdendiesePatienteninderRegelwäh- rend sechs Monaten oral antikoaguliert und erhalten anschließend eine Dauer- therapie mit Thrombozytenaggrega- tionshemmern (ASS, Clopidrogel, vgl. Infokasten). Zahnärztliche operative Eingriffe sollten deshalb nach Absetzen deroralenAntikoagulationgeplantwer- den.FallsausärztlicherSichtvertretbar, sollte ASS und/oder Clopidrogel abge- setzt werden (Tab.1).Eine chirurgische Therapie unter ASS ist unter Berück- sichtigung lokaler Maßnahmen und ei- neradäquatenperioperativenAnalgesie und postoperativen Blutungskontrolle möglich(vgl.Infokasten). ZustandnachRevaskularisierung (Stent-Einlage) Anstelle von aortokoronaren By- passoperationen werden immer mehr endovaskuläre Stents zur Öffnung der Gefäße eingelegt (Aoki et al.2008). Die operationsbedingte Morbidität ist beidiesemEingriffdeutlichgeringerals bei der operativen Revaskularisierung. Postoperativ werden diesen Patienten Thrombozytenaggregationshemmer verabreicht. Häufig werden dabei ASS und Clopidrogel kombiniert (Tab. 1). Bei Planung eines zahnärztlich-chirur- gischen Eingriffes sollte wenn immer möglich eines dieser Medikamente abgesetztwerden. Herzklappenersatz Im Rahmen des zahnärztlichen Managements von Patienten mit Herz- klappenerkrankungen oder Zustand nach künstlichem Klappenersatz sind drei Aspekte von Bedeutung: Fokus- elimination, Endokarditisprophylaxe, Antikoagulation. Fokuselimination PräoperativwerdenfüreinenKlap- penersatz oder Klappenoperation vor- gesehenePatientendenKieferchirurgen oder Zahnärzten mit der Frage nach odontogenen Foci vorgestellt. Bakte- rielle Herde können bei bis zu 50% der Patienten nachgewiesen werden (Lass- nig et al.2004). Neben parodontal an- geschlagenen Zähnen müssen chro- nischapikaleLäsionenentwederopera- tivsaniert(Wurzelspitzenresektionmit retrograder Füllung) oder der betref- fende Zahn muss entfernt werden. Da Fokusabklärungen und -sanierungen häufigkurzfristigerfolgenmüssen,sind parodontale Sanierungen aus Zeit- gründen nicht möglich.Im Sinne einer Reduktion der intraoralen Bakterien- menge sollen deshalb parodontal an- geschlagene Zähne eher geopfert als erhaltenwerden. Endokarditisprophylaxe Nachdem im Jahre 2007 die Ame- rican Heart Association (AHA) ihre Empfehlungen für die Endokarditis- prophylaxegrundlegendredigierthatte (Wilson et al.2007) und die Indikation für die prophylaktischen Maßnahmen deutlich einschränkte, reagierte die Schweizerische Kardiologische Gesell- schaft (SKG) mit Zurückhaltung und bestätigte in ihrem Kommuniqué die Gültigkeit der im Jahre 2000 überar- beiteten Empfehlungen. Diese Emp- fehlungen galten, bis die von der AHA aufgeworfenenAspekte in Zusammen- arbeit mit den übrigen europäischen Fachgesellschaftengeprüftundüberar- beitetwordenwaren(Moreillon2000). SeitAnfang2009sindnundierevi- dierten schweizerischen Richtlinien für die Endokarditisprophylaxe in Kraft gesetzt (Flückiger & Jaussi 2008). In Tabelle 2 sind die kardiologischenVor- aussetzungen zusammengefasst, die füreineantibiotischeProphylaxequali- fizieren. Folgende zahnärztliche Maß- nahmen verlangen eine antibiotische Prophylaxe (vgl. Tab. 3). In Tabelle 4 werden die durchzuführenden Maß- nahmenbeschrieben. Antikoagulation NebeneinerantibiotischenProphy- laxe bei notwendigen chirurgischen MaßnahmenistbeiZustandnachkünst- lichem Herzklappenersatz, wegen des hohen thrombo-embolischen Risikos, auch eine orale Dauerantikoagulation mit Cumarinen (Marcoumar®) not- wendig (Emery et al. 2007). Cumarine sind Vitamin K-Antagonisten, die die BlutgerinnungskaskadeimBereichedes „extrinsischen“ Systems (Abb.1) beein- flussenkönnen(Frick1987).Siewerden oral verabreicht und verfügen über eine mehrere Tage andauernde Halbwerts- zeit. Die Hemmung des„intrinsischen“ Systems erfolgt über die parenterale Verabreichung von grobmolekuarem Heparin,dasraschantagonisiertwerden kann, wodurch in kurzer Zeit eine für einen operativen Eingriff genügende Gerinnungaufgebautwerdenkann. Das zahnärztliche Management von Patienten, die unter oraler Anti- koagulation stehen, erfolgt demnach, entsprechend des zu erwartenden thrombo-embolischenRisikos,inenger AbsprachemitdembetreuendenHaus- arzt.Istdasthrombo-embolischeRisiko als gering einzustufen,kann der Patient die Medikation mit Cumarinen unter- brechen, bis eine genügende Gerin- nungsfähigkeit für einen operativen Eingriff (INR 1,5-2, Quick 40–50 %) hergestelltwerdenkann.Allenfallskann der Patient während der Zeit der sub- therapeutischenAntikoagulationzusätz- lich niedermolekulare Heparine (low ANZEIGE Information 1. Medikamentöse Therapien Analgesie: • bei normaler Nierenfunktion sollen NSAR wegen ihrer anti-inflammatorischen Kompo- nente abgegeben werden (z.B. Diclofenac 3 x 50 mg/die) • bei Niereninsuffizienz ist die Gabe von Paracetamol 4 x 1 g/die angezeigt • bei starken Schmerzen ist die Kombination vonParacetamolundNSARwegenihrersyner- gistischen Wirkungsweise günstig • bei ausgeprägten Schmerzen (Pulpitis, intra- ossärer Abszess) ist die zusätzliche Verab- reichung von Tramadol max. 4 x 20 Tropfen/ die zu erwägen (1 ml = 40 Tropfen = 100 mg) • zum Schutze der Magenschleimhaut (NSAR empfindliche Patienten) ist die Gabe von Omeprazol 20 mg 1x/die zu empfehlen Antibiotische Therapie: • Amoxicillin mit Clavulansäure (Augmentin®, Co-Amoxi-Mepha®) 625 mg 3/die • BeiPenicillinallergie:Clindamycin(Dalacin®) 300mg 3/die Die Dauer der Therapie richtet sich nach der kli- nischen Situation. Therapien ohne manifesten Infekt (präemptiv) sollten für max. fünf Tage durchgeführtwerden.BeimanifestemInfektist eine Therapie von mindestens sieben bis zehn Tagen angezeigt. 2. Lokale Maßnahmen Erhöhtes Risiko von intra- und postoperativen Blutungen: 1. schonende operative Technik (vermeiden von traumatischer Extraktionstechnik, cave: Quetschung der Gingiva) 2. Abdichten der Alveole mit blutstillender Gaze (Tabo-Tamp®, Spongostan®) 3. Dichter Nahtverschluss 4. Schutzplatte zur Kompression 3. Wirkungsweise von Thrombozytenaggregationshemmern ASS:Azetylsalizylsäure (Aspirin®) Hemmt die Cyclooxygenase und verringert die Produktion von Thromboxan A2, das für die Plättchenaggregation und Vasokonstriktion verantwortlich ist. Die Plättchenfunktion ist sieben bis zehn Tage nach Absetzen wieder normal. Die Cyclooxygenase wird irreversibel gehemmt, nur neue Plättchen funktionieren wieder. Clopidrogel (Plavix®) HemmtdiePlättchenaggregationviaHemmung des ADP in der Plättchenaktivierung. Die Plättchenfunktion ist sieben bis zehn Tage nach Absetzen wieder normal. zahnärztliche Chirurgie, Kieferchirurgie tief bis mittel keine dokumentierte KHK ASS 7 Tage prä OP absetzen, ab 2. Tag post OP weitergeben hoch dokumentierte KHK (stabil) St.n. MI > 1 Mt St.n. Koronarstenting > 1 Mt St.n. AKB > 6 Wochen ASS weitergeben Clopidrogel: Indikation abklären, individuell besprechen sehr hoch dokumentierte KHK (instabil) St.n. MI < 1 Mt St.n. Koronarstenting < 1 Mt St.n. AKB < 6 Wochen St.n. CVI < 1 Monat Eingriff wenn immer möglich verschieben Cerebro- und Kardiovaskuläres Risiko Tab.1:PerioperativesManagementkieferchirurgischerPatientenunterThrombozytenaggregations- hemmern. Bei kieferchirurgischen Eingriffen ist die Gefährlichkeit von Blutungskomplikationen als„mittel“einzustufen.RichtliniendesUniversitätsspitalesBasel(Priv.-Doz.Dr.M.Filipovic). „Kontakt“ Faktor XII Faktor XI Faktor IX Faktor VIII Plättchen-Faktor 3 Faktor X Blutthromboplastin Gewebsthromboplastin Intrinsic-System „Gewebefaktor“ Faktor VII Faktor X Extrinsic-System Faktor V Ca2+ Prothrombin Thrombin Fibrinogen Fibrin (unstabil) Fibrin (stabil) Faktor XIII Abb.1: Gerinnungskaskade: das „intrinsische System“ wird endovaskulär aktiviert, während die Aktivierungdes„extrinsischenSystems“übereineGewebsschädigungerfolgt. ª Der Risikopatient in der Oralchirurgie Bei der Erstellung eines Risikoprofils sollte der Zahnarzt eng mit dem Hausarzt des Patienten kooperieren und vor Behandlungsbeginn Vorsichtsmaßnahmen treffen. Priv.-Doz. Dr. med. Dr. med. dent. Claude Jaquiéry, Basel, Schweiz, fasst die häufigsten Erkrankungen, die vorbereitende Maßnahmen erfordern, zusammen. International Science DENTALTRIBUNE German Edition · Nr. 4/2011 · 8. April 20114