Kieferorthopädie – digitale Medizin und analoges Recht zahnarzt ausgeführt worden ist. Zu beurteilen ist nämlich, ob die ausgeführte Behandlung dem Fachzahnarztstandard entspricht, was letztlich nur durch einen Angehörigen dieser Fachzahnarztgruppe beurteilt werden kann, auch wenn jeder Allgemeinzahnarzt approba- tionsrechtlich auch zur Durchführung kiefer - orthopädischer Maßnahmen befugt ist. Hier- bei bleibt es auch dann, wenn im Einzelfall dem Fachzahnarzt für Kieferorthopädie eine Verletzung allgemeinzahnärztlicher Befund - erhebungs- oder Behandlungspflichten vor- geworfen wird, etwa, dass er vorhandenen endodontologischen Behandlungsbedarf ver- kannt habe oder die Parodontalverhältnisse für eine Zahnbewegung als zu günstig einge- schätzt hat. Auch in diesen Fällen bleibt das verfolgte Therapieziel spezifisch kieferortho- pädisch, was entsprechend bei der Auswahl des Fachgebietes des Sachverständigen zu berücksichtigen ist. 3. Variantenvielfalt Wie kaum ein anderes Fachgebiet ist die Kie- ferorthopädie von der nahezu uneingrenz - baren Variantenvielfalt gekennzeichnet was die Therapiegestaltung anbelangt. Schon die Frage, ob ein Patient überhaupt der kieferor- thopädischen Behandlung bedarf, scheint von dem Fachgebiet des Beurteilers abzuhängen. Der Prothetiker wird geneigt sein, Zahnlücken zu überbrücken, der Implantologe wird bevor- zugt an die Schließung durch Einbringung künstlicher Zähne denken, privatzahnärztlich tätige Endodontologen streben den Erhalt des Zahnes zur Vermeidung einer Zahnlücke an. Vertreter der Ästhetischen Zahnheilkunde werden die Anbringung von Veneers zur Ka- schierung etwaiger Zahnfehlstellungen favo- risieren. Die Therapieplanung eines befragten Kieferorthopäden wird maßgeblich davon ab- hängen, ob er einem der traditionellen Multi- bandverfahren anhängt, die Lingualtechnik oder die Alignertherapie bevorzugt. Schon im Rahmen der herkömmlichen Multibandtech- nik gibt es Behandlungsansätze, die sich im Hinblick auf Sichtbarkeit des Behandlungsge- rätes, Dauer und Kosten der Behandlung deut- lich unterscheiden. In Anbetracht der ärzt- lichen Therapiefreiheit und der ja erwünsch- ten Methodenvarianz stellt die Festlegung ei- ner konkreten Behandlungsplanung nur dann einen Behandlungsfehler dar, wenn der ge- wählte Behandlungsansatz schlechterdings nicht mehr vertretbar ist. Dies wird selten der Fall sein. Die Thematik der Methodenvielfalt ist deshalb keine Frage des Behandlungsfeh- lers, sondern der zutreffend durchgeführten Alternativenaufklärung. Diese ist geschuldet bei grundsätzlich gleichwertigen Behandlungs- ansätzen, die sich jedoch im Risikoprofil und im Nutzen für den Patienten deutlich unter- scheiden. Hierbei trägt der Kieferorthopäde die Beweislast dafür, dass die Aufklärung über die solchermaßen medizinisch gleichwertigen Therapiealternativen erfolgt ist. Ein besonde- res Problem stellt dabei die Haltung der meis- ten Patienten dar, dass die Auswahl der Thera- pieplanung nicht nur von medizinischen, son- dern auch von kostenmäßigen Gesichtspunk- ten abhängig gemacht wird, mithin von der Frage, in welchem Umfang eine private Kran- kenversicherung oder eine Beihilfestelle die Kosten übernimmt. Dies wird der Kieferortho- päde häufig nicht sicher einschätzen können. Soweit er dies kann, etwa bei Verwendung von Edelmetallen statt Nichtedelmetallen oder bei der Empfehlung der Lingualtechnik, die seitens der Rechtsprechung als Verlangens- leistung gem. §1 Abs. 2 S. 2 GOZ qualifiziert worden ist (Amtsgericht Hamburg, Urt. v. 30.01.2014, 8b C 60/12), wird er den Patienten im Rahmen seiner wirtschaftlichen Aufklä- rungspflicht gemäß §630c Abs. 3 BGB ent- sprechend zu informieren haben. Die Ver- pflichtung zur Aufklärung über greifbare Be- handlungsalternativen kann im Einzelfall so- gar so weit führen, dass ein Kieferorthopäde auch auf einen Behandlungsansatz hinzu- weisen hat, den er selbst gar nicht praktiziert, somit selbst eine Empfehlung zugunsten ei- nes konkurrierenden Kieferorthopäden aus- zusprechen hat. 4. Patientenmitwirkung Weiteres Spezifikum der kieferorthopädi- schen Behandlung ist die Angewiesenheit auf die ordnungsgemäße Mitwirkung des Patien- ten an der Behandlung. Regelmäßig wird in arzthaftungsrechtlichen Streitigkeiten der Ein- wand des Arztes, der Patient habe nicht das seinerseits Erforderliche zur Herbeiführung des Heilerfolges beigetragen, nicht gehört. Wie im Falle der Arzneimitteltherapie kann aber auch im Bereich der Kieferorthopädie die konsequente und sachgerechte Befolgung ärztlicher Instruktionen für den Therapie - erfolg ausschlaggebend sein. Der Kieferortho- päde wird in Haftungsstreitigkeiten den Mit- verschuldenseinwand nur dann erfolgreich – 19 – erheben können, wenn ihm zuvor der Nach- weis gelingt, dass er den Patienten genaues- tens über seine Mitwirkungslast und die Art seiner Mitwirkungsbeiträge instruiert hat und sich auch um die Kontrolle der Einhaltung die- ser Mitwirkung bemüht hat. Es handelt sich hierbei um einen Fall der therapeutischen Aufklärung, der systematisch als Fall des Be- handlungsfehlers eingestuft wird, sodass der Patient im Streitfall zu beweisen hat, dass die gebotene Patienteninstruktion eben nicht er- folgt ist, er also nicht wissen konnte, in wel- cher Weise und in welchem Umfang er welche Maßnahmen durchzuführen hat. Sofern ihm also der Nachweis nicht gelingt, der Kieferor- thopäde habe ihn nicht auf die Reinigungsbe- dürftigkeit des Gebisses während festsitzen- der kieferorthopädischer Behandlung hinge- wiesen oder es sei keine Unterweisung darin erfolgt, mit welcher Häufigkeit und Dauer etwa herausnehmbare Geräte zu tragen sind, wird er sich mit der Forderung nach Schmer- zensgeld oder Schadensersatz nicht durch- setzen (OLG Stuttgart, Urt. v. 20.05.2008, 1 U 122/07, Quintessenz 2008, 757 mit Anm. Ste- gers). Auch soweit der Patient einen Pla- nungsfehler damit begründet, der Kiefer - orthopäde habe von ihm ausdrücklich geäu- ßerte Behandlungswünsche oder bestehende Unverträglichkeiten bei der Planung nicht berücksichtigt, obliegt der diesbezügliche Be- weis dem Patienten. Will er den Kieferortho- päden vor Beginn der Behandlung darauf hingewiesen haben, dass er herausnehmbare Retentionsgeräte unter keinen Umständen tragen könne, so hat er hierfür vollen Beweis zu erbringen. Er wird damit scheitern, sofern im Behandlungsplan die Retentionsbehand- lung mittels herausnehmbarer Geräte vorge- sehen war, er dies aber nicht beanstandet hat (OLG Köln, Beschl. v. 01.07.2013, 5 U 30/13). Auch im Hinblick auf Materialunverträglichkeiten, die dem Patienten bewusst sind, der Kiefer - orthopäde aber nicht kennen kann, wird eine entsprechende Mitteilungspflicht des Patien- ten anzunehmen sein, für deren rechtzeitige Erfüllung er beweisbelastet ist. Aus der Mitwirkungslast des Patienten an der kieferorthopädischen Behandlung wird ab - geleitet, dass eine haftungsrelevante Abwei- chung vom medizinischen Standard erst vor- liegen kann, wenn die Behandlung durchge- führt worden ist und ein zu begutachtendes Behandlungsresultat vorliegt. Grundsätzlich steht auch dem Kieferorthopäden – ähnlich