2 Statements and News DENTAL TRIBUNE Austrian Edition · Nr. 5/2013 · 8. Mai 2013 Verkehrte Welt Jürgen Pischel spricht Klartext Alles, was in der zahn- medizini- schen Funktionärswelt Rang und Na- men hat, klagt über eine bodenlose Rückständigkeit des österreichischen Kassenversorgungssystems in der Zahn- heilkunde. Die Honorarordnung sei seit über 30 Jahren von der Entwicklung in der Zahnmedizin völlig überrollt wor- den, die Leistungen seien falsch bewertet und völlig unzureichend dotiert, und jeder Zahnarzt, der sich heute noch um einen Kassenvertragssitz als Vertrags- facharzt für ZMK bemühe, gebe sich quasi als „Zahnarzt“ selbst auf. Das ist die eine Seite, die andere spiegelt Berichte in den Kammerzeitschriften wider, wie sehr Zahnärzte um Kassenverträge mit allen Mitteln kämpfen, denn meist sind mehrere Bewerber da. Ist das nicht eine verkehrte Welt oder spiegelt es nur das Phänomen wider, dass die Versorgung der Patienten dem System folgt. So schreibt der bekannte Schweizer Professor Jean-François Roulet, der lange Jahre Professor an der Uni-Zahnklinik in Berlin, danach sicher über ein Jahrzehnt einer der führenden Wissenschafter und Forscher bei Ivoclar Vivadent war und heute als Lehrer nach Florida/USA „ausgewandert“ ist, im „prophylaxe impuls“, 17. Jahrgang, 5/2013, zum Thema „Krankenversiche- rung: Segen oder Fluch?“. Er sei groß ge- worden in der Schweiz mit dem Präven- tionsgedanken und einem Sanierungs- konzept, dass Erkrankungen zuerst kau- sal zu therapieren seien, „bevor man rekonstruieren durfte“, so Roulet. So war der Professor, als er 1984 aus der Schweiz nach Deutschland zog, einfach „ge- schockt“. Roulet: „Ich habe hier (gemeint Universitätszahnklinik Berlin) in weni- gen Wochen mehr Karies gesehen als in meinem ganzen Berufsleben je zuvor. Ich sah aber noch mehr: Viele Kronen und Brückenarbeiten selbst bei jungen Pa- tienten. Alles, so Roulet, eine Folge des Kassen-Leistungskataloges. Inzwischen habe sich nach Roulet auch in Deutsch- Infos zum Autor land vieles verändert. Dies, weil sich die Zahn - ärzteschaft als Ganzes hinter die Prophylaxe gestellt habe und die Kassen sowohl in der Füllungstherapie wie bei Zahnersatz „Zuzahlungssysteme“ installiert hätten. „Den zweiten Kulturschock“, so Roulet, habe er 2012 nach Auswande- rung nach Florida erlebt. Er sehe „orale Zustände, weit schlimmer als ich sie je gesehen habe (multiple Karies bis zur Gingiva, Parodontitis bis zum Apex usw.)“. Dies seien die Folgen von jahre- langer, jahrzehntelanger Abstinenz vom Zahnarztbesuch aus finanziellen Grün- den. „Zudem steckt die Prophylaxe in den Kinderschuhen“, soweit die Roulet- Conclusio aus der Tatsache, dass in den USA für die Zahnmedizin kein Versiche- rungszwang bestehe. Heute würden im neuen staatlichen „Medicaid-System“ wenigstens Extraktionen und Vollpro- thesen bezahlt werden. Für Roulet ist der Status der jeweiligen zahnmedizinischen Versorgung der Bevölkerung in den ein- zelnen Ländern jeweils „Solidarsystem- bedingt“. So gilt es, die Weichen richtig zu stellen. Zahnärzte haben in die System- diskussion, die auch in Österreich in Be- wegung gerät, neue, konstruktive Optio- nen einzubringen. Am besten aufbauend auf zwei verschieden funktionierenden Versicherungssäulen. Eine solidarisch finanzierte Säule soll einer abgesicherten Grundversorgung dienen. Dies, verbun- den mit der Möglichkeit, als Patient über Zusatzversorgungen im Wege von Zu- schusssystemen frei verhandeln und ent- scheiden zu können. Diese Zusatzleis- tungen sollten in einem dualen System auch privat versicherbar sein. Also eine flexible Handhabung zwischen garan- tierter Regelversorgung und Zuschüssen für individuell gewünschte höherwer- tige Leistungen, damit können Zahn- ärzte und Patienten bestens leben, toi, toi, toi, Ihr J. Pischel IMPRESSUM Verlag OEMUS MEDIA AG,Holbeinstr. 29 04229 Leipzig, Deutschland Tel.: +49 341 48474-0 Fax: +49 341 48474-290 kontakt@oemus-media.de www.oemus.com Verleger Torsten R. Oemus Verlagsleitung Ingolf Döbbecke Dipl.-Päd. Jürgen Isbaner Dipl.-Betriebsw. Lutz V. Hiller Chefredaktion Dipl.-Päd. 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VÖK fordert neuen Leistungskatalog Kostenübernahme soll zukünftig nach sozialen und medizinischen Kriterien erfolgen. INNSBRUCK – Gesundheitsminister Alois Stöger kündigte an, dass die Kassen künftig mehr für Zahnspan- gen zahlen könnten. „Der Verband Österreichischer Kieferorthopäden (VÖK) begrüßt diese Pläne des Mi- nisters. Damit leistet die Regierung einen wichtigen Beitrag für mehr Zahngesundheit in Österreich“, er- klärt Präsident DDr. Martin Brock. Gleichzeitig fordert der VÖK, den Leistungskatalog zu überarbei- ten. „Dieser stammt aus dem Jahr 1957 und ist nicht mehr zeitgemäß. Wir wünschen uns einen neuen Katalog, der an die heutigen Bedin- gungen angepasst ist. Außerdem füh- ren Kieferorthopäden heute einen Großteil der Behandlungen mit fest- sitzenden Apparaturen durch. Diese sind im derzeitigen Leistungskatalog komplett ausgeschlossen“, so Brock weiter. Überdies fordert der VÖK die staatliche Anerkennung der univer - sitären Fachzahnarztausbildung für Kieferorthopädie. Brock: „Österreich und Spanien sind die einzigen Länder der EU, in denen es keine gesetzlich geregelte Ausbildung im Sonderfach Kieferorthopädie gibt.“ Der VÖK will mit Qualitätsprü- fungen und Fortbildungen sicher - stellen, dass auch in Österreich hoch qualifizierte kieferorthopädische Be- handlungen nach dem Stand der Wis- senschaft durchgeführt werden. Der VÖK vereint aktuell rund 230 Mit- glieder aus allen Bundesländern. DT Quelle: www.wiko.cc Prophylaxebehandlung zum lebenslangen Erhalt der Zähne Routinemäßige, parodontale Grunduntersuchung an der MedUni Wien. Nur 17 Prozent waren wegen eines bereits aku- ten parodontalen Pro- blems und mit dadurch verursachten Schmerzen an die Klinik gekommen. „Aber je nach Alters- gruppe waren objektiv Probleme mit dem Zahn- fleisch feststellbar“, so Bruckmann. wert“, betont Bruckmann. „Die PGU wäre ein wichtiger Beitrag zur Qua - litätssicherung, damit schwerwie- gende parodontale Erkrankungen nicht übersehen und die Patienten frühzeitig einer Therapie zugeführt werden können. Bei uns an der Klinik ist diese Untersuchung Standard.“ Ziel der Therapie ist die lebens- lange Erhaltung der eigenen Zähne durch Maßnahmen wie Entzün- dungsbekämpfung, Regeneration des Zahnfleischs oder Verringerung der Taschentiefe im Zahnfleisch. Die Therapie beruht vor allem auf Ver- haltensänderungen der Patienten, so Bruckmann, wie mehr Mundhy- giene, Aufhören mit dem Rauchen oder auch die richtige Einstellung bei Diabetes. DT Quelle: MedUni Wien WIEN – Die Parodontitis und deren mögliche Fol- gen werden, obwohl etwa jeder zweite Zahnverlust darauf zurückzuführen ist, nach wie vor zu wenig ernst genommen. Das be- tont auch Corinna Bruck- mann, Parodontitis-Ex- pertin an der Bernhard- Gottlieb-Universitäts- zahnklinik der MedUni Wien: „Aktuelle Zahlen zeigen, dass sich die Parodontitis der subjektiven Wahrnehmung der Be- troffenen entzieht, bei Älteren noch mehr als bei Jüngeren.“ In einer aktuellen Studie wurde bei 5.350 Patienten an der Bernhard- Gottlieb-Universitätszahnklinik eine routinemäßige, parodontale Grund- untersuchung (PGU) durchgeführt. ÁFortsetzung von Seite 1 reinigung beigetragen. Heute wird Paradontitis mit den Erkrankungen des Herz-Kreislauf-Systems in Zu- sammenhang gebracht. Interessan- terweise zeigt der Eismann auch Arterienverkalkungen, wofür wie im Falle der Parodontitis in erster Linie seine genetische Veranlagung ver- antwortlich war. Dass der Eismann unter Karies litt, ist auf die vermehrt stärkehaltige Nahrung wie Brot und Getreide - brei zurückzuführen, die durch den aufkommenden Ackerbau in der Jungsteinzeit vermehrt konsumiert werden konnte. Dazu war die Nah- rung durch Verunreinigungen und den Abrieb der Mahlsteine stark ab- schleifend, wie die abgeschliffenen Zähne des Eismannes zeigen. Seine Dr. Corinna Bruckmann Ein Großteil der pa- rodontalen Erkrankun- gen ließe sich durch Präventions- maßnahmen und regelmäßige Kon- trollen beim Zahnarzt verhindern oder zumindest abschwächen, so die Expertin. „Leider ist die parodontale Grunduntersuchung aber nicht Teil des österreichischen Kassenkatalogs, die Aufnahme in das Angebot der Krankenkassen wäre wünschens- unfallbedingten Zahnschäden zeu- gen wie seine anderen Verletzungen vom rauen Leben in jener Zeit. Ein Frontzahn ist durch einen Schlag abgestorben – die Verfärbung ist noch deutlich sichtbar, und ein Ba- ckenzahn hat wohl durch einen Kau- unfall, vielleicht ein Steinchen in Ge- treidebrei, einen Höcker verloren. DT Literatur: Roger Seiler, Andrew I. Spielman, Albert Zink, Frank Rühli. Oral pathologies of the Neolithic Iceman, c.3,300 BC. European Journal of Oral Sciences. April 9, 2013. DOI: 10.1111/eos.12037. Quelle: Universität Zürich Editorische Notiz Schreibweise männlich/weiblich Wir bitten um Verständnis, dass – aus Gründen der Lesbarkeit – auf eine durchgängige Nennung der männlichen und weiblichen Bezeichnungen ver- zichtet wurde. Selbstverständlich beziehen sich alle Texte in gleicher Weise auf Männer und Frauen. Die Redaktion