DENTAL TRIBUNE Swiss Edition · Nr. 5/2011 · 13. Mai 2011 International Science 9 Das International Caries Detection and Assessment System ICDAS-II Unter Beteiligung internationaler Wissenschafter wurde ein siebenstufiges visuelles Kariesdiagnosesystem – das ICDAS-II – entwickelt. Das System kann kariös bedingte Veränderungen der Zahnhartsubstanzen bereits im frühen Stadium erfassen. Priv.-Doz. Dr. Anahita Jablonski-Momeni stellt das Verfahren vor. Eine frühzeitige Diagnose der Karies stellt eine Herausforderung im Praxis alltag dar. Der Zahnarzt muss in der Lage sein, Veränderungen der Zahnhartsubstanz rechtzeitig zu er- kennen und gleichzeitig eine Ent- scheidung über die Versorgungs- möglichkeiten der Läsion zu treffen. Die diagnostischen Möglichkei- ten haben sich für den Zahnarzt in den letzten Jahrzehnten stetig er- weitert, sodass die Entscheidung über das Vorhandensein einer Zahnkaries nicht mehr ausschliesslich auf der Basis einer visuellen Untersuchung getroffen wird. Als gängige Metho- den können hier die faser optische Transillumination mit einer Kalt- lichtsonde, die elektrische Wider- standsmessung, das Laserfluore- szenzverfahren und auch die Anwen- dung von Röntgenstrahlen genannt werden. Bei epidemiologischen Unter - suchungen erwies sich die visuelle Inspektion als besser geeignet als beispielsweise das Laserfluoreszenz- verfahren.16 Dies gilt allerdings nur, wenn ein System für die klinische Kariesdiagnose verwendet wird, das einerseits kariöse Läsionen schon im frühen Stadium erfasst, und anderer- seits bei fortgeschrittenen Läsionen die Entscheidungsbasis für geeignete Therapiemassnahmen liefert. Übli- cherweise erfolgt in Reihenunter - suchungen die klinische Kariesdiag- nose nach dem WHO-Standard, das heisst Läsionen werden auf Kavita- tionsniveau registriert. Nach Definition der WHO liegt eine behandlungsbedürftige Karies (D3-Level) vor, wenn freiliegendes Dentin sichtbar oder unterminierter Schmelz mit erweichten Schmelz- rändern tastbar ist.19 Da diese Form der Karies stark rückläufig ist, wer- den subtilere Indizes benötigt, mit denen sich zum Beispiel auch Initial- läsionen erfassen lassen. Nur so kann eine valide Basis für ein Kariesma- nagement geschaffen werden, das be- reits auf die Remineralisierung von Schmelzläsionen abzielt. Ideal wäre daher ein System für die klinische Kariesdiagnose, welches auch initi- ale Läsionen zuverlässig erfasst. So können präventive Massnahmen innerhalb der Gruppenprophylaxe und in der zahnärztlichen Praxis ge- zielt und kosteneffektiv eingesetzt werden. Auch kann die longitudinale Entwicklung der Zahngesundheit auf der Basis eines va liden Kariesdi- agnosesystems genauer verfolgt wer- den. Das Ziel des ICDAS-II Systems Im Jahr 2002 wurde das visuelle Kariesdiagnosesystem „Internatio- nal Caries Detection and Assessment System“ (ICDAS) unter Beteiligung internationaler Wissenschafter ent- wickelt14 und im Jahr 2005 in modi - fizierter Form als ICDAS-II vorge- stellt.7 Die Philo sophie dieser inter- nationalen Initiative basiert auf einer Zusammenführung von Kariesdiag- nosemethoden, die in epidemiolo - gischen Erhebungen, in klinischen Studien und in der zahnärztlichen Praxis verwendet werden. Das Ziel war die Entwicklung einer standardi- sierten Methode, die auf der Evidenz der bisher existierenden Methoden basiert und die Diagnose, Prognose sowie die Entscheidung über das kli- nische Management der Zahnkaries auf indi vidueller Ebene und im öffentlichen Gesundheitswesen er- möglicht.14 Mit der Anwendung von ICDAS sollen Studien besser in Über- sichtsarbeiten oder Meta-Analysen Eingang finden können und somit die Anforderungen der evidenzba- sierten Zahnmedizin erfüllen.15 Mit dem ICDAS-II System kön- nen kariöse Veränderungen an Ok- klusal- und Glattflächen der Zähne, an den Wurzeloberflächen sowie an 1 4 5 Restaurationen und Versiegelungen erhoben werden. Dabei ist es wichtig, dass die Zähne vor der Untersuchung gereinigt werden. Die Zähne werden im feuchten und trockenen Zustand befundet, sodass sicherlich im Rah- men von Reihenuntersuchungen Kompromisse notwendig sind. Im Folgenden werden die einzelnen ICDAS-II Codes vorgestellt (siehe auch Abb. 1 bis 5). Code 0 Keine sichtbare Karies nach Trocknung im Luftstrom (ca. 5 Sek.). ANZEIGE Swiss Blend Zahnersatz. Überzeugende Qualität. Unschlagbarer Preis. Ihre Ersparnis im Vergleich zu den Leistungsverzeichnissen Schweizer Labore (SUVA): Swiss Made: bis zu 30% günstiger Swiss Proofed: bis zu 70% günstiger Kontaktieren Sie uns über unsere kostenlose Hotline: Tel.: 0800-702077 Swiss Blend AG Turbinenweg 2 CH – 8866 Ziegelbrücke info@swissblend.ch www.swissblend.ch 2 3 Verän derungen wie Schmelzhypo- plasie, Fluorose, Abrasion, Erosion und Verfärbungen werden ebenfalls mit 0 befundet. Zahn ist der Schmelzverlust deutlich sichtbar. Gegebenenfalls kann die WHO-Sonde verwendet werden, um das freiliegende Dentin zu ertasten. Code 1 Code 6 Erste visuelle Veränderungen in der Schmelzoberfläche, die erst nach Trocknung des Zahns sichtbar sind. Die Veränderungen können Opa - zitäten, weissliche oder bräunliche Verfärbung sein. Code 2 Deutliche visuelle Veränderun- gen in der Schmelzoberfläche bereits Abb. 1–5: ICDAS-II Codes für die Diagnose der okklusalen Karies. Abb. 1: ICDAS-II Codes 0 und 1. Abb. 2: ICDAS-II Codes 2 und 3. Abb. 3: ICDAS-II Code 4. Abb. 4: ICDAS-II Code 5. Abb. 5: ICDAS-II Code 6. am feuchten Zahn, die sich wie folgt zeigen können: Opazitäten im Sinne einer White Spot-Läsion und/oder bräun liche kariöse Verfärbungen in den Fis suren/Grübchen. Die Verän- derungen müssen auch am getrock- neten Zahn noch sichtbar sein. Code 3 Demineralisation bzw. Verlust der Schmelzstruktur ohne sichtbares Dentin. Die Opazitäten und/oder bräunliche oder schwarze kariöse Veränderungen dehnen sich über die Grenze der Fissuren/Grübchen hin- aus und sind auch nach Trocknung des Zahns sichtbar. Gegebenenfalls kann eine WHO-Sonde vorsichtig über den Schmelzdefekt geführt wer- den, um die Diskontinuität der Schmelzoberfläche zu ertasten. Code 4 Schattenbildung im Dentin, mit oder ohne Schmelzeinbruch. Die Schattenbildung kann gräulich, bläu- lich oder bräunlich sein. Code 5 Deutliche Kavitätenbildung mit sichtbarem Dentin. Am getrockneten Grossflächige Kavitätenbildung, dabei ist das Dentin in der Breite und Tiefe des Zahns deutlich sichtbar. Mindestens die Hälfte der Schmelz- oberfläche ist kariös zerstört, die Pulpa kann betroffen sein. Diese Einteilung wird auch für die Diagnose der Approximal- und Glattflächen angewendet. Liegen be- reits Fissurenversiegelungen oder Fül- lungen an einem Zahn vor, können auch hier entsprechende ICDAS-II Kriterien angewendet werden (Caries Associated with Restorations and Sealants – CARS). Ferner kann die Diagnose und Ein teilung der Wurzel- karies nach dem ICDAS-II Schema durchgeführt werden. Details hierzu finden sich auf der Internetseite www.icdas.org. Differenzierte visuelle Kariesdiagnose Der Rückgang der Kariespräva- lenz12,13 und die Verschiebung der Ausprägung von kariösen Läsionen haben zur Folge, dass die Karies nicht mehr ausschliesslich auf dem Kavi - tationsniveau erfasst werden sollte. Die heutige Zahnheilkunde verfügt über präventive und minimalinvasive Interventionsmöglichkeiten, die in vielen Zahnarztpraxen bereits gut etabliert sind, sodass bereits frühe Läsionen mit geeigneten Verfahren versorgt werden können. Dies ver- deutlicht den Bedarf an neuen und differenzierten Diagnosesystemen, die in der Lage sind, kariös bedingte Veränderungen der Zahnhartsubs- tanzen frühzeitig zu erfassen und Entscheidungshilfen für geeignete Therapiemassnahmen zu geben. Be- vor ein System der Kariesdiagnose klinischen Einsatz findet, ist es erfor- derlich, die Spezifität und Sensitivität zu ermitteln. Auch die Reproduzier- barkeit von Unter suchungen ist ein wesentlicher Faktor, der Hinweis auf die Vermittelbarkeit zur Umsetzung und Verbreitung des Diag nose ver - fahrens gibt. Studien zur Diagnose der okklusalen Karies zeigten für das ICDAS-II Verfahren gute bis sehr gute Intra- und Inter-Untersucher-Repro- duzierbarkeiten sowie eine klinisch akzeptable Sensitivität und Spezi- fität.9,10 Eine Meta-Analyse6, die unter anderem Studien einbezog, in denen die visuelle Inspektion gegen einen Goldstandard (überwiegend Histolo- gie) validiert wurde, fasste zusam- men, dass die visuelle Untersuchung eine vergleichsweise geringe Aussage- kraft bei der Diagnose der okklusalen Karies zeigte, hingegen wiesen die elektrische Widerstandsmessung und die fiber optische Transillumination eine gute Aufdeckungsquote. Aus - gehend von der Tatsache, dass nicht immer eine apparative Ausrüstung für die Kariesdiagnose zur Verfügung stehen kann (insbesondere bei zahn- ärztlichen Reihenuntersuchungen), ist es sinnvoll, eine differenzierte visu - elle Skala anzuwenden. Auch ist im zahnärztlichen Alltag die erste vi su - elle Inspektion unumgänglich. Daher ist die Etablierung eines Kariesdiagnosesystems, das bereits auf der Basis der visuellen Inspektion eine Differenzierung nach Initial - läsion, Schmelz- sowie Dentindefekt ermöglicht, von erheblicher Bedeu- tung. Seit der Einführung des ICDAS wurden einige klinische Studien unter Anwendung dieses Systems durchgeführt.1,3,4,8,11,17,18 Dabei wird deutlich, dass eine differenzierte vi- suelle Kariesdiagnostik unter Ein- schluss nicht kavitierter kariöser Lä- sionen im Vergleich zur traditionel- len Befund aufnahme überlegen ist.5 Resümee Mit dem ICDAS-II können Ent- wicklungen der Zahngesundheit in - nerhalb einer Population genau ver- folgt werden, da sowohl initiale als auch manifeste Läsionen gleichermas- sen erfasst werden. Auch lassen sich remineralisierende und minimalin - vasive Massnahmen frühzeitig gezielt einsetzen und somit die Entstehung von manifesten Dentinläsionen weit- gehend verhindern. Werden in kli- nisch kontrollierten Studien bereits Schmelzläsionen erfasst, ist es möglich, den Effekt eines Prophylaxeverfahrens schon nach kürzerer Zeit festzustellen.2 Die Standardisierung des Verfahrens erlaubt es, im internatio nalen Verbund Studien durchzuführen, zu publizie- ren und zu vergleichen. DT Erstveröffentlichung in der Dental Tri- bune German Edition 7+8/2010 Die Literaturliste zu diesem Beitrag finden Sie unter www.zwp.online. info/fachgebiete/dentalhygiene. Priv.-Doz. Dr. Anahita Jablonski-Momeni Medizinisches Zentrum für Zahn-, Mund- und Kieferheilkunde, Abteilung für Kinderzahnheilkunde Philipps Universität Marburg Georg-Voigt-Str. 3 35033 Marburg Deutschland Tel.: +49 6421 5863215 Fax: +49 6421 5866691 momeni@staff.uni-marburg.de