14 Endodontics Special DENTAL TRIBUNE Swiss Edition · Nr. 2/2012 · 3. Februar 2012 Regenerative Endodontie Paradigmawechsel bei der Behandlung von unreifen, nekrotischen Zähnen: Laut Forschungsergebnissen könnten Stamm- und Vorläuferzellen u.a. aus Pulparesten zur Wiederbesiedlung von sterilisierten Pulpahöhlen beitragen. Von Dr. Richard Steffen, Dr. Caroline Moret, Dr. Hubertus van Waes. Avulsionen unreifer Frontzähne mit offenen Apizes und noch dünnen Wurzelwänden verlangen nach einer möglichst schnellen Replantation.1,2 Auch wenn solche Replantationen unter optimalen Bedingungen ablau- fen, werden derart traumatisierte Zähne häufig nach der Abheilung Pulpanekrosen aufweisen.2 In un- günstigeren Fällen kommt es auch zu gangränösen Infektionen, welche dann zu Abszessen und Fistelungen führen.7,22,32 Optimale Replanta- tionstechniken und schnelle Replan- tationen verringern die Gefahr von Infektionen.3 Ebenso ist ein offener Apex von über 2 mm Durchmesser von Vorteil, denn dadurch erhöht sich die Chance auf eine erfolgreiche Revaskularisation und Pulparegene- ration deutlich.3,32 Wenn es zum Ab- sterben des Pulpagewebes gekom- kanals, Zunahme der Wurzelwand- stärke und die Bildung eines mehr oder weniger physiologischen Apex.18,19 Es kann hier von einem „Pa- radigmawechsel“ gesprochen wer- den, wenn unreife devitale Zähne nicht mehr wurzelgefüllt, sondern re- generativ endodontisch zum Wachs- tum angeregt werden.11,12,19,32,35 Das Behandlungsvorgehen für unreife devitale Wurzelkanäle war traditionell der Versuch einer Wur- zelfüllung.3,12 Erste Versuche einer Apexifikation wurden mit wieder- holten Kalziumhydroxid-Einlagen unternommen. Durch diese Einlagen erhoffte man sich eine Elimination der infektiösen Keime aus den Wur- zelkanälen und die Bildung einer wie auch immer gearteten, apikalen Bar- riere der offenen Wurzel. Eine weitere Behandlungsmöglichkeit ist das Set- droxid setzen überdies die Frakturre- sistenz des Dentins deutlich herab und Verluste durch Frakturen solcher Art behandelter Zähne sind beinahe die Regel.2,3 Regenerative endodontologische Behandlungen beginnen mit einer Desinfektion der infizierten Pulpa- höhle. Ausgedehnte Spülungen mit NaOCl haben einen guten desinfizie- renden und gewebsauflösenden Ef- fekt.11,12,20,33 Es sind Fälle beschrieben, bei denen nur durch NaOCl-Spülun- gen und einem anschliessenden Kro- nenverschluss eine Pulparegenera- tion erreicht werden konnte.29 Oft sind jedoch die pathogenen Erreger in den Pulpahöhlen mit NaOCl alleine nicht zu beseitigen. Besonders bei längerer Zeit schon gangränösen Zähnen sind die Erre- ger in die Dentinwände eingedrun- 1 2 3 4 5 Abb. 1: Rx am Unfalltag. – Abb. 2: Rx nach Sterilisation und PC-Einlage und SAT-Versorgung. – Abb. 3: Rx drei Monate nach Einlage. – Abb. 4: Rx zehnMonate später zeigt Wurzelreifung. – Abb. 5: Rx 14 Monate nach der Behandlung zeigt eine deutliche Apexbildung und Wurzelwandwachstum. men war, waren bisher die Aussichten auf eine erfolgreiche endodontische Behandlung unreifer Frontzähne eher schlecht. In den letzten Jahren je- doch wurde in einer ganzen Serie von Fallberichten gezeigt, dass es möglich ist, das Wurzelwachstum wieder an- zuregen und auch vitales Pulpage- webe bei infizierten, devitalen unrei- fen Zähnen zu generieren.4,6,32 Dies gelang auch bei akut gangränösen, fistelnden, apikal perio dontitischen Zähnen.8,9,32 Mit dem Begriff „Regenerative Endodontie“ werden alle damit ver- bundenen Prozesse beschrieben, wie zum Beispiel weiteres Wurzelwachs- tum, Revaskularisation des Wurzel - zen von MTA-Plugs (Stopfen) direkt an den offenen Wurzelspitzen. Diese Plugs dichten die Kanäle zum apika- len Weichgewebe hin ab und können gleichzeitig der folgenden Wurzelfül- lung als apikale Barrieren dienen.13 Apikale MTA-Plugs sind zwar schwierig zu setzen, haben aber den Vorteil, dass die Behandlungen rela- tiv schnell abgeschlossen werden können. Der Nachteil der Kalzium- hydroxid- und MTA-Techniken ist je- doch, dass das Wurzelwachstum end- gültig gestoppt wird und die Zähne mit ihren dünnen Dentinwänden in einem un reifen und stark frakturge- fährdeten Zustand verbleiben.12,13,19 Lange Einlagezeiten von Kalziumhy- gen.29,32 Eine Analyse der Erreger bei infizierten Pulpen ermöglicht den Einsatz von keimspezifisch wirken- den Antibiotika zur Desinfektion von Pulpahöhlen.27,31 Ein solches Vorgehen wurde Ende des letzten Jahrtausends für infizierte Milch- zahnpulpen vorgeschlagen.17,27 Bei diesem Verfahren werden die Erreger in den Pulpahöhlen mit einer Mi- schung aus drei, dem spezifischen Erregerspektrum angepassten Anti- biotika (Tri-Antibiotikapasten) eli- miniert. Die für dieses Vorgehen ver- wendete Antibiotikamischung ist eine Kombination von Ciprofloxa- cin, Metronidazol und Minocycline. Diese Mischung hat sich im klini- ANZEIGE Von der Reparatur bis zur Validierung. Wartung total. 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Es gibt aber auch Berichte von Verfärbungen bei der Verwendung von Amoxy cillin in Tri-Antibiotikapasten.20,25 Da Amo- xycillin zur Gruppe der -Lactamat- Antibiotika gehört, ist bei der grossen Zahl der Penizillinallergien von einer Verwendung in der Pulpa- höhle – welche Sensibilisierungen auslösen kann – abzusehen. Die Ver- wendung von Cefuroxim anstelle des verfärbenden Minocyclin scheint zurzeit der beste Ersatz zu sein.12,34,35 Wird das Tri-Antibiotikapulver statt mit Wasser mit Propylenglykol angemischt, ermöglicht dies eine deutlich tiefere Penetration der anti- biotischen Wirkstoffe in das bakte- rienbelastete Dentin. Dem hygrosko- pischen Propylenglykol wird zur Sta- bilisierung zudem fettendes Macro- gol beigemischt.10 Nach erfolgter Desinfektion der Pulpahöhlen und Ausspülen der AB- Mischung mittels NaOCl wird durch mechanische Reizung des vitalen api- kalen Gewebes eine Blutung in die Pulpahöhle provoziert. Diese Einblu- tung in den Kanal wird ca. 3 bis 4 mm unter der Schmelz-Zement-Grenze mittels Wattepellets gestoppt. Ein so gebildetes Blutkoagulum wird mit ei- nem MTA- oder PZ-Plug verschlos- sen.11,15,25,32 Besonders vorteilhaft kommen dann die sehr gut dichten- den und bioverträglichen Eigen- schaften des MTA/PZ zum Tragen. PZ hat gegenüber dem MTA bei Frontzähnen den Vorteil, weniger Verfärbungen zu verursachen.5,11 Aus dem so generierten Blutkoagulum entsteht neues intrakanaläres Ersatz- gewebe. Das Koagulum dient dem einwachsenden, mehr dem Zement als dem Dentin gleichenden Gewebe als Leitstruktur. Dieses Ersatzgewebe kann zu weiterem Dickenwachstum der Dentinwände, einem Zahnlän- genwachstum und einer Apexbil- dung an der Wurzelspitze führen.11 Der folgende Fallbericht beschreibt das Vorgehen bei einer rege nerativen endodontischen Behandlung mit Tri-Antibiotikapaste (Mischung von Ciprofloxacin, Metronidazol, Ce - furoxim), welche als Medikament zur Desinfektion einer devitalen, infi- zierten Pulpa eingesetzt werden. Fallbericht Ein Junge im Alter von sieben Jahren und vier Monaten erlitt mit seinem Fahrrad einen Unfall mit Traumafolgen im Gesicht. Neben Schürfungen an Lippe und Kinn hatte der Junge am Zahn 11 eine Schmelz-Dentin-Fraktur ohne Pul - pa beteiligung und am Zahn 21 eine Dislokationsverletzung mit Verlage- rung des Zahnes nach koronal. Be- reits eine Stunde später konnte bei ei- ner Kinderzahnärztin eine Notfall- versorgung vorgenommen werden. Die allgemeinmedizinische Kran- kengeschichte des Patienten war un- auffällig und eine früher durchge- führte Tetanusprophylaxe war noch wirksam. Zu Beginn der Notfallbe- handlung wurden die Zähne 11 und 21 mittels Lokalanästhesie mit 1,2 ml Ultracain® (Sanofi-Aventis, Paris, Frankreich) versorgt. Nach ei- ner ausreichenden Wartezeit wurde der Zahn 21 mit sanftem Fingerdruck in seine ursprüngliche Position repo- niert. Mit der Säure-Ätztechnik (UltraEtch, Ultradent, South Jordan, USA; Tetric-Flow, IvovlarVivadent, Schaan, Liechtenstein) und einer ge- stanzten Titanfolie (TTS-Schiene, Medartis, Basel) wurde der Zahn 21 geschient. In den Schienungsverband wurden die Zähne 53, 11, 21, 63, 64 einbezogen. Da zum Zeitpunkt des Unfalls die Zähne 12 und 22 gerade im Durchbruch waren, konnten diese Zähne nicht in die Schienung mit ein- bezogen werden. Die Schmelz-Den- tin-Wunde am Zahn 11 wurde nicht versorgt. Der Patient wurde beglei- tend mit Hygiene- und Verhaltensin- formationen entlassen. Eine Unfall- nachkontrolle am nächsten Tag zeigte eine normale Wundheilung. Nach zehn Tagen wurde die Schiene ent- fernt. Die Wundheilung war weiter- hin normal. Bei einer Kontrolle weitere vier Wochen später bemerkte die behan- delnde Zahnärztin eine erhöhte Zahnbeweglichkeit sowie eine Fistel- bildung bukkal an Zahn 11. Es er- folgte eine Überweisung an die Sta- tion für Kinderzahn medizin der Uni- versität Zürich. 1. Nachkontrolle Bei der ersten Kontrolle ergab sich hier folgendes Bild: Der Zahn 21 war normal beweglich und zeigte keinerlei Anzeichen von Unfallfolgen. Der Zahn 11 zeigte eine Schmelz-Dentin- Fraktur, stark erhöhte Zahnbeweg- lichkeit sowie einen Fistelausfüh- rungsgang bukkal des Zahnes 11. Ein bereits durch die überweisende Kin- derzahnärztin angefertigtes Röntgen- bild zeigte beide Frontzähne mit weit offenen Wurzelverhältnissen, grossen Pulpahöhlen und dünnen Wurzel - dentinwänden. Apikal des Zahnes 11 ist auf dem Röntgenbild eine osteoly- tische Zone zu erkennen. Die Diagnose war eine Pulpa - nekrose bei Zahn 11 mit infiziertem Wurzelkanal, einer damit verbunde- nen chronisch periapikalen Entzün- dung sowie einer Fistelbildung an der Grenze der beweglichen Gingiva api- kal von Zahn 11. Als Ursache dieser Erkrankung steht das vor sieben Wochen erlittene Trauma im Vordergrund. Nach Ab- wägen der Vor- und Nachteile er- scheint eine regenerative, endodonti- sche Therapie von Zahn 11 am erfolg- versprechendsten.