PERIO TRIBUNE Swiss Edition · Nr. 6/2014 · 4. Juni 2014 State of the Art 27 Motivation überhaupt nicht wichtig 1 Selbstwirksamkeit überhaupt nicht sicher 1 x sehr wichtig 10 absolut sicher 10 Abb. 2: Skala zu Motivation (Wichtigkeit) und Selbstwirksamkeit (Selbstvertrauen). x nikationsstil umzugehen. Wenn die Harmonie zwischen Arzt und Patient gestört scheint oder ganz zerstört wird, sollte dies ein Alarmsignal dafür sein, dass ein bestimmter Kommunika- tionsstil nicht funktioniert. Das kann wiederum dem Arzt zeigen, dass er einen anderen Stil ausproben sollte, um die Harmonie wiederherzustellen. „OARS“ Bei allen Kommunikationssitua- tionen mit dem Patienten sollte man beherzigen, dass man diesen nur direkt fragen sollte, wenn dieser sich mit der potenziellen Antwort wohlfühlt (ohne Eingreifen des Arztes, auch nicht mit- hilfe von Instrumenten). Beachtet man dies nicht, riskiert man den Erfolg der Behandlung, da der Patient einen Kon- trollverlust empfinden könnte. Es gibt vier Primäraktivitäten, die man für die Kommunikation mit einem Parodontalpatienten nutzen kann. Diese werden im Englischen mit dem Acronym OARS zusammenge- fasst. Es steht für: offene Fragestellun- gen (open-ended questions), Stärken des Patienten (affirm the patient), Re- flektion (reflect) und Zusammenfas- sen (summarize). (cid:129) Offene Fragen stellen: Wenn man den Patienten mit mehreren geschlosse- nen Fragen (Fragen, die mit Ja oder Nein beantwortet werden können) konfrontiert, bringt ihn das in eine eher passive Rolle. Offene Fragen hin- gegen laden zu Gedankenspielen, zur Zusammenarbeit und dazu ein, dass sich der Patient um eine Antwort be- müht. Beispiel: „Was denken Sie selbst darüber, dass Sie rauchen?“ (cid:129) Den Patienten stärken: Es liegt in der menschlichen Natur, eine negative Grundeinstellung vorauszusetzen, besonders, wenn das eigene Verhalten genau untersucht wird. Indem man die Stärken des Patienten anerkennt oder seine Ehrlichkeit wertschätzt, baut man defensives Verhalten ab und verstärkt die Offenheit seitens des Patienten sowie die Wahrscheinlich- keit für eine Verhaltensänderung. Bei- spiel: „Sie erklären mir gerade, warum Sie das Zähne putzen nicht sonderlich interessiert. Danke für Ihre Ehrlich- keit!“ (cid:129) Das reflektieren, was der Patient kom- muniziert: Reflektion ist der beste Weg, Mitgefühl oder Empathie (die Fähigkeit, die Perspektive einer ande- ren Person nachzuvollziehen) zu zeigen. Eine angemessene Reflektion beinhaltet, dass man sich ehrlich be- müht, die Perspektive des Patienten einzunehmen. Sie 1) erfasst die unter- schwellige Bedeutung von dem, was der Patient ausspricht, 2) ist präzise und bündig, 3) wird als Beobachtung oder Kommentar geäussert und 4) vermittelt eher Verständnis als ein Urteil. Beispiel: „Sie scheinen wirk - lich schon alle Hoffnung verloren zu haben, je mit dem Rauchen aufzu - hören.“ (cid:129) Zusammenfassen: Die Äusserungen des Patienten zusammenzufassen, zeugt von Interesse, strukturiert das Gespräch und bringt es notfalls auch wieder auf den roten Faden zurück. Alle Gedanken des Patienten zum Thema Veränderung werden wäh- rend der Beratung zusammengefasst. Beispiel: „Sie fühlen sich also noch nicht wirklich bereit, Ihr Verhalten zu ändern. Ihnen macht zwar das Rau- chen Spass, aber Sie machen sich ein wenig Sorgen darüber, wie einige Menschen reagieren, wenn sie heraus- finden, dass Sie Raucher sind. Stimmt das so?“ Beraten Obwohl wir bereits den Unter- schied zwischen ratgebender Gesund- heitsaufklärung und MI erklärt haben, ist es wichtig zu erkennen, dass es zu- weilen angemessen ist, den Patienten Informationen zu geben, die ihre Fra- gen, Irrtümer oder Wissenslücken be- treffen. Grundsätzlich geht das Bereit- stellen von Informationen mit MI kon- form, wenn der Patient dies möchte. Rollnick, Mason und Butler (1999) ha- ben einen Drei-Schritte-Prozess skiz- ziert, der eine hilfreiche Anleitung dafür gibt, wie man gemäss MI seinen Patienten beraten kann. (cid:129) Schritt 1: Wecken Sie im Pa tienten die Bereitschaft und das Interesse für bestimmte Informationen: Zum Bei- spiel könnte ein Arzt zu seinem Pa- tienten sagen: „Ich hätte Informa- tionsmaterial zu diesem Thema. Hät- ten Sie Lust, etwas mehr dazu zu er - fahren?“ (cid:129) Schritt 2: Bieten Sie die Informa - tio nen so neutral wie möglich an. Zum Beispiel könnte ein Arzt sagen: „Die Forschung hat gezeigt, dass …“ oder „Viele Patienten erzählen mir, dass …“. So können Sie sachliche Infor mationen so darlegen, dass sie den Patienten in seiner Auto nomie be stärken. (cid:129) Schritt 3: Provozieren Sie eine Reak- tion des Patienten auf die dargelegten Informationen. Fragen Sie noch ein- mal nach, ob der Patient die neuen Selbstwirksamkeit-Skala, wie sie von Rollnick, Mason und Butler beschrie- ben wurde (Rollnick et al. 1999). Die Motivationsskala (Abb. 2) besteht aus drei Fragen. Zum Beispiel: (cid:129) 1. „Auf einer Skala von 1 bis 10: 10 bedeutet ,absolut wichtig‘ und 1 be- deutet ,überhaupt nicht wichtig‘, wie würden Sie das tägliche Zähneputzen bewerten?“ (cid:129) 2. „Warum haben Sie (X) anstelle von 1 gewählt?“ (cid:129) 3. „Warum haben Sie (X) anstelle von 10 gewählt?“ Beachten Sie, dass Frage 2 die Mo- tive des Patienten und Frage 3 seine Ambivalenz aufzeigt. Die Selbstwirk- samkeit-Skala (Abb. 2) besteht aus den folgenden Fragen: (cid:129) 1. „Wenn Sie davon überzeugt wären, dass regelmässiges Zähneputzen sehr wichtig ist, wie sicher wären Sie sich, auf einer Skala von 1 bis 10, dass Sie es tatsächlich tun könnten? 1 bedeu - tet ,überhaupt nicht sicher‘ und 10 bedeutet ,absolut sicher‘.“ (cid:129) 2. „Warum haben Sie (X) anstelle von 1 gewählt?“ (cid:129) 3. „Warum haben Sie (X) anstelle von 10 gewählt?“ Beachten Sie, dass Frage 2 die Stär- ken des Patienten für eine Veränderung und Frage 3 die Hindernisse aufzeigt. Ein Gewebe zur Patientenaktivierung Um die motivierende Gesprächs- führung in eine dentale Behandlung zu implementieren, muss man darauf achten, den gemeinschaftli chen und einfühlsamen Grundgedanken dieser Methode (Ramseier und Suvan 2010) zu bewahren. Um MI zielführend in einer einzigen zahnmedizinischen Sit- zung anzuwenden, stellten Suvan et al. 2010 ein spezifisches Patientenaktivie- rungsgewebe vor. Dieses Modell zeigt die voneinander abhängigen Elemente eines Zahnarztbesuchs mithilfe des Konzepts von miteinander verwobe- nen Fäden auf (Suvan et al. 2010). Kommunikation und Informations- austausch verschmelzen bei der klini- schen Beurteilung und Behandlung (Abb. 3). Daher kann die motivierende Gesprächsführung als ein hilf reiches Modell für parodontale Therapiestra- tegien gesehen werden, die effektiv da- bei helfen, alle bekannten Risikofak - toren für parodontale Erkrankungen entsprechend einzuschränken. Dazu gehören unzurei- chende Mundhygiene, Tabakgenuss, unge- sunde Ernährungsge- wohnheiten und Al- koholmissbrauch. PT Literaturliste Kontakt Infos zum Autor Dr. med. dent. Christoph A. Ramseier Universität Bern Zahnmedizinische Kliniken Abteilung für Parodontologie Freiburgstr. 7, 3010 Bern, Schweiz Tel.: +41 31 632-2589/2540 (direkt) Fax: +41 31 632-4915 christoph.ramseier@zmk.unibe.ch www.zmk.unibe.ch Informationen so verarbeiten kann, dass neue Perspektiven und die Moti- vation für eine Veränderung entste- hen. Alternativ kann Nachfragen auch weitere Wissenslücken oder Missver- ständnisse offenlegen, die man dann ansprechen kann. Wenn ein Patient jedoch die Information „ablehnt“, ist es wichtig, keine Diskussion zu er - öffnen. Generell ist es besser, diese Perspektive des Patienten mit einfa- chen Statements anzuerkennen wie „Diese Information passt nicht zu Ihren bisherigen Erfahrungen“ oder „Diese Information ist für Sie in Ihrer jetzigen Situation vielleicht nicht so relevant“. Danach kann man zu einem produktiveren Gesprächs- thema übergehen. Bereitschaftsskala Eine ganze Anzahl von zahnärzt- lichen Terminen könnte notwendig sein, bis ein Patient signifikante Ände- rungen seines Ver haltens unternimmt. Nur relativ kleine Schritte zu einer Ver- änderung können bereits bei einem einzigen kurzen Zusammentreffen ge- macht werden. Zahnärzte, die ihre Er- wartungshaltung auf jeweils einen Ter- min beschränken können, neigen schliesslich weniger dazu, ihren Patien- ten anzutreiben. Indem man eine Langzeitperspektive einnimmt, wird man sich dessen bewusst, was Patienten bereits in relativ kurzen Zeiträumen schaffen können, und ist in der Folge weniger frustriert bei – hochgradig ambivalenten – Patienten. Kliniker können gewöhnlich nicht erwarten, dass ihre Parodontalpatien- ten bereits dazu bereit sind, ihre Mund- hygienegewohnheiten zu ändern oder ihren Tabakgenuss einzuschränken, weil sie eine gute Mundgesundheit ha- ben möchten (Miller und Rollnick 2002). Die Bereitschaft eines Patienten für eine Veränderung richtig einzu- schätzen beinhaltet, die Motivation des Patienten und dessen Selbstbe- wusstsein zu begreifen (Rollnick et al. 19999). Die Verwendung der folgen- den Fragefolge hilft Ärzten, ein umfas- sendes Bild der Ein stellung ihrer Pa- tienten zu Veränderungen innerhalb kurzer Zeit zu erstellen. Bei der Beurteilung der Motiva- tion und der Selbstwirksamkeit des Patienten möchte der Kliniker dessen Motivatoren und Werte herausfinden, um diese mit der angestrebten Verhal- tensänderung zu verbinden (Abb. 1). Wie von Koerber (2010) beschrieben, kann eine Bereitschaftsskala ange - wendet werden, besonders bei kurzen Pausen und innerhalb eines zahnmedi- zinischen Kontexts. Diese besteht aus 1) der Motivationsskala und 2) einer Anamnese Patientenbindung und Umfeld schaffen A g e n d a l g n u d n a h e B i n o i t a k n u m m o K Informationen austauschen Zusammenfassung geben und Ziele setzen 1 0 - P u n k t e S k a a l V i e r - F e l d e r - T a f e l Notiz U n t e r s u c h u n g Abb. 3: Gewebe zur Patientenaktivierung für den Zahnarztbesuch (Implementierungsmodell) von Suvan et al. (2010). Die Patientenge- schichte und seine Aussagen zu Beginn und Ende der Behandlung sind die kritischen Elemente der Dokumentation, die dazu dienen, einen Zahnarztbesuch mit dem nächsten zu verweben. Die horizontalen Bänder stellen drei Gesprächshauptfäden dar, die den Besuch beim Zahn- arzt bestimmen. Diese Fäden sind mit „Harmonie herstellen“, „Informationsaustausch“ und „Abschluss“ beschriftet und gehen direkt in die Kurven über, die die klinische Beurteilung und Behandlung zwischen den Gesprächen als Teil des Ablaufs darstellen. Die Fäden werden durch vertikale Bänder miteinander verwoben, die die spezifischen Elemente der Kommunikation und Interaktion für die jeweilige Herangehens- weise darstellen. Diese vertikalen Bänder stehen für den Kommunikationsstil und die Werkzeuge, die für die Veränderung des Gesundheits- verhaltens herangezogen werden, und sind beständig, trotzdem flexibel, und kehren im Laufe des gesamten Behandlungstermins wieder, um Stabilität zu gewährleisten.