30 User Report PERIO TRIBUNE Swiss Edition · Nr. 12/2015 · 2. Dezember 2015 Von Gingivitis bis Herzinfarkt Das Wissen um Zahnprophylaxe ist erschreckend gering. Von Edith Maurer Mütsch, Arlesheim. Vor Kurzem bekam ich eine Anfrage, Apothekern etwas über Zahnprophy- laxe zu erzählen. Eine Herausforde- rung. Meine Erfahrungen aus über zehn Jahren Einführungsveranstal- tungen zur Zahnprophylaxe mit Prä- sentation und praktischen Übungen in Apotheken und Drogerien haben mir gezeigt, wie wenig Wissen über das Thema rund um den Zahn selbst dort vorhanden ist. Leider werden die Themen Zahn und Mundgesundheit im Studium oder in der Ausbildung nur ein wenig gestreift. In Basel hatte ich bei den Pharmaziestudenten ein paar Semes- ter dafür die Möglichkeit. Nach der Bologna-Reform wurde der Ausbil- dungsteil leider gestrichen. In den ÜKs der Prophylaxeassistentinnen hatte ich die Gelegenheit, das Thema orale Gesundheit und Mundhygiene einzuführen, bedauerlicherweise aber nicht schweizweit. Meine Aufgabe ist simpel: Es geht darum, so einfach wie möglich zu er- klären, wie wichtig es ist, das Thema Mundgesundheit auch in der Apo- theke zu platzieren, Zusammenhänge zu erkennen und das Interesse zu we- cken, die Zähne als Teil des Körpers zu betrachten und die orale Gesundheit ernst zu nehmen. Explain it simple Als Dentalhygienikerin arbeite ich in der Praxis nach dem Prinzip der Individualprophylaxe, iTOP. Die Pro- phylaxe ist das allererste und wich- tigste. Ich kann keine Zahn- und In- terdentalbürste oder eine Putzme- thode empfehlen, wenn ich die Gege- benheiten nicht kenne. Ich muss in den Mund schauen, meinen Kunden kennen. Ist er gesund? Nimmt er Medikamente? Welche Konstitution hat er? Der Entwickler der iTOP Philosophie, Jiri Sedelmayer, zitiert immer gerne Einstein: „If you can’t explain it simply, you don’t understand it well enough.“ ist Gingivitis oder Karies, die Ursache immer Plaque. Aber reden wir mit den Kunden nicht über Plaque, Gingivitis oder Pa - rodontitis, sondern bei- spielsweise über „Schmutz“, Zahnfleischentzündung und die Entzündung der „Karos- serie“. Die Pharma-Assisten- tinnen wussten, dass Paro- dontitis Schlimmeres sein könnte und mit den Zähnen zu tun hat; was Gingivitis ist, war dann schon nicht mehr so klar. Die Empfehlung in der Apotheke läuft dann oft auf eine Zahnpaste, ein CHX-Gel oder eine Zahn- spülung hinaus. Der Patient in der Praxis: Er weiss schon, dass er eine Parodontose oder Parodon- titis hat, aber weiss er auch, dass der Grund dafür eine chronische Zahn- fleischentzündung war? Er hat doch seine Zähne immer gründlich geputzt und war regelmässig in Kontrolle. Letztendlich haben wir ihn alleine ge- lassen. Idealerweise kommt er zwei Mal im Jahr für die Zahnreinigung zu uns und 363 Tage sollte er selber pfle- gen und kritisch beobachten. Die Kunst des Zähneputzens Zum Vergleich: Ich staune, wie am Wochenende schon um 8Uhr mor- gens die Autos vor der Waschanlage anstehen und wie dort anschliessend innen und aussen alles exakt gereinigt und poliert wird. Felgen inklusive. Der Schmutz muss weg! Ich habe dann mal dort die fleissigen Autoputzer ge- fragt, ob ihre Zähne auch so genau angeschaut und so kritisch gepflegt werden… Die hohe Kunst des Zähneputzens kann man erlernen. Es braucht einen Coach, Training und Repetition! Eine Verletzung an der Hand, eine Blutung, bemerken wir sofort. Wir desinfizieren die Wunde, pflegen und kontrollieren die Heilung, ja, wir ge- hen sogar zum Arzt. Warum? Weil wir Angst haben, dass es eine schlimmere Infektion geben könnte! Wie sieht das aber im Mund aus? Kontrollieren wir das Zahnfleisch genauso? Was ist, wenn das Zahnfleisch entzündet ist, spüre ich das? Wie geht es weiter, wird es eine chronische Entzündung ge- ben? Ist es eine offene Wunde? Heilt es? Könnte der Halteapparat angegriffen werden? Warum ist das schlimm? Sol- che einfache Fragen sind in der Praxis zu beantworten. Gesund beginnt im Mund Ich kann Ihnen versichern, dass für viele Ihrer Patienten und unserer Kunden dies nicht klar ist. Es ist aber doch so einfach, im Mund zu zeigen, dass die Gingiva entzündet ist. Nicht mit der Sonde, aber mit einer kleinen feinen Interdentalraumbürste kann man verdeutlichen, was passiert, wenn ich sie einführe und herausnehme. Mit etwas Geduld, Licht und Handspiegel lernt der Patient/Kunde seine Zähne kennen, ich kann auf die offene Wunde hinweisen und ihm erklären, dass die Bakterien sich mit dem Blut vermischen und so durch den ganzen Organismus=Körper verteilt werden. Hat der Kunde festgestellt, dass sein Zahnfleisch immer wieder blutet, ist es einfacher zu erklären, dass es sich um eine chronische Entzündung han- delt. Und er wird schneller ver stehen: Wenn es Schwachstellen im Körper gibt, wie z.B. eine Herz-Kreislauf- Erkrankung (wofür er Medikamente braucht), es sehr wichtig ist, die Mundhygiene zu optimieren, die chronische Entzündung zu bekämp- fen, den Kreislauf von unnötiger Belastung zu befreien! Wir sollten als Dental-Coach hel- fen, das Ziel zu erreichen. Dazu gehört, die ganzheitliche Motivation zu ver- bessern, die Technik mit praktischen Übungen zu optimieren, die Akzep- tanz zu fördern, die Effektivität durch individuelle Prophylaxe zu steigern. Don’t leave the patient alone! PT Kontakt Infos zur Autorin Edith Maurer Mütsch Dentalhygienikerin/ iTOP Teacherin Mattweg 31 4144 Arlesheim, Schweiz Tel.: +41 78 767 97 78 Mikrobiom der Zahntaschen spielt zentrale Rolle bei Parodontitis HZI-Forscher klären neue Mechanismen rund um Parodontitis auf. Wissenschafter des Helm - holtz-Zentrums für Infek - tionsforschung (HZI) in Braunschweig haben durch eine Analyse von rund zehn Millionen aktiven Genen aus Zahntaschen erforscht, wie die Bakterien, die eine Pa - rodontitis begünstigen, zu- sammenarbeiten. Ihre Er- gebnisse veröffentlichten sie in dem neuen open-access Nature Online-Journal Bio- films and Microbiomes. Sie und ihre Kollegen ha- ben eine Metatranskripti- onsanalyse durchgeführt. Dabei sequenziert man nicht die DNA, sondern die Mes- senger-RNA, also die Arbeitskopien der Gene, und zwar sämtlicher akti- ven Gene aller Bakterienarten der Parodontaltasche. Diese rund zehn Millionen aktiven Gene wurden an- schliessend mit bioinformatischen Methoden analysiert. „Entscheidend war dabei, dass wir die Genexpres - sion in Bakteriengemeinschaften von Menschen mit Parodontitis mit Krankheit zu besiegen, so deuten unsere Ergebnisse darauf hin, dass das nicht aus reichend sein wird“, sagt Wagner-Döbler. Die Rolle des oralen Bakteriums Fusobacterium nucleatum Eine weitere neue Er- kenntnis betrifft die Rolle des oralen Bakteriums Fus- obacterium nucleatum, das häufig in Zahntaschen vor- kommt. Man hatte vermu- tet, dass es in einer entzün- deten Zahntasche giftige Buttersäure produziert und dadurch zur Parodontitis beiträgt. Die Analyse der Genexpres- sion zeigte aber, dass F. nucleatum immer Buttersäure produziert, bei Gesunden ebenso wie bei Kranken. Bei Kranken tragen aller dings noch eine Reihe anderer Bakterienarten zur Butyratproduktion bei, und diese Bakterienart nutzt noch weitere biochemische Stoffwechselwege da- für. Neue Biomarker gefunden Darüber hinaus gelang es den Forschern, Biomarker für Parodonti- tis zu identifizieren. „Wir haben drei Gene gefunden, die regelmässig eine besonders hohe Genexpression zeigten, wenn Patienten an Parodon- titis erkrankt waren“, sagt Wagner- Döbler. Diese Biomarker könnten nun in einer grossen Patienten- Kohorte validiert werden und im Endeffekt ermöglichen, Parodontitis in einem frühen Stadium zu diagnos- tizieren, so dass eine Therapie sehr viel erfolgreicher wird. PT Originalpublikation: Szymon P Szafrański, Zhi- Luo Deng, Jürgen Tomasch, Michael Jarek, Sabin Bhuju, Christa Meisinger, Jan Kühnisch, Helena Sztajer, Irene Wagner-Döbler. Functional biomarkers for chronic periodontitis and in- sights into the roles of Prevotella nigrescensand Fusobacterium nucleatum; a metatranscrip- tome Analysis. Biofilm and Microbiomes. 2015 Sep 23. 1:15017. DOI 10.1038/npjbiofilms. 2015.17. Quelle: Helmholtz-Zentrum für Infektionsforschung Nach der Entnahme der Probe aus der Zahntasche wurde eine Illumina-Sequenzierung (Mitte oben) vorgenommen. Darunter sehen Sie ein Treponema, einer der gefährlichsten Erreger in der Zahntasche. Im Bild rechts sind die meta- bolischen Netzwerke dargestellt, die aus dem Metatranskriptom teilweise rekonstruiert werden konnten. (@HZI/Wagner-Döbler) derjenigen von gesunden Probanden verglichen haben“, sagt Wagner- Döbler. Dadurch konnten die Wissen- schafter zeigen, dass ein typischer Be- wohner der Zahntasche, das Bakte- rium Prevotella nigrescens, seine Rolle verändert, je nachdem ob eine Para- dontitis vorliegt oder nicht. „Sobald eine Parodontitis vorliegt, verwan- delt sich das normalerweise harmlose P. nigrescens in ein sogenanntes ‚ac- cessory pathogen‘und greift den Wirt an, genau wie die bereits bekannten Pathogene“, sagt Wagner-Döbler. Die Erkrankung wird dadurch weiter ver- schlimmert und lässt sich schwerer bekämpfen. „Ging man bisher davon aus, dass man nur die Leitkeime der Infektion ausschalten muss, um die