8 | www.kn-aktuell.de WISSENSCHAFT & PRAXIS Nr. 5 | Mai 2010 Kurzvita Prof. Dr. Dr. Ralf J. Radlanski (cid:129) Studium der Medizin und der Zahn- medizin in Göttingen und in Min - neapolis (MN), USA (cid:129) FZA für KFO, 1989 Habilitation (cid:129) seit 1992 Professor für Zahn-, Mund- und Kieferheilkunde, Charité–Uni- versitätsmedizin Berlin, Campus Ben- jamin Franklin, Freie Universität Berlin (cid:129) Direktor der Abteilung für Orale Struktur- und Entwicklungsbiologie (cid:129) seit 1992 Mitarbeit in freier kieferor- thopädischer Praxis in Berlin-Steglitz (cid:129) Chairman der Working Group I, Cra- niofacial Morphogenesis, der COST- action B23 (cid:129) wissenschaftlicher Berater des Berufsverbandes der Kieferortho- päden (BDK) (cid:129) zusammen mit Frans P.G.M. van der Linden und James A. McNamara Co-Autor der Reihe Dynamics of Orthodontics (Vol. 1, 2, 3, 5) (cid:129) Hauptforschungsgebiete: Wachs- tum und Entwicklung des Gesichts, orale Struktur- und Entwicklungs- biologie, praktische Kieferortho - pädie (cid:129) Präsident des International Ortho- dontic Symposium (IOS) in 2004, 2006–2009 und vom 25.–27.11.2010 in Prag (www.orthodontics-ios.eu) Literatur zur Herkunft einiger Abbildungen: [1] Enlow, D.H.: Principles of bone remodeling. An account of post-natal growth and remodelling processes in long bones and the mandible. Charles C. Tho- mas, Springfield, Illinois, USA 1963. [2] Radlanski, R.J. and Renz, H.: Genes, Forces, and Forms. Mechanical Aspects During Prenatal Craniofacial Development. Developmental Dynamics, 2006. 235: 1219–1229. [3] van der Linden, F.P.G.M., McNamara, J.A. and Radlanski, R.J.: Dynamics of Orthodontics. Vol. 5: Facial Growth. Quintessence Publishing Group, Berlin 2004. [4] Radlanski, R.J. and Renz, H.: An Atlas of the prenatal human development of the orofacial region. Eur. J. Oral Scie (submitted). Seitenverzahnung (Abb. 10d) noch korrigiert werden (Abb. 10c, e). Bei diesem dentoalveo- lären Ausgleich handelt es sich in den meisten Fällen aller- dings um einen eher kompen- satorischen Achsausgleich der Zahnstellung. Beim nachge- wiesenen Vorliegen eines basal- knöchernen Defizits der Ma- xilla sollte bei Patienten im spä- ten Wechselgebiss dann eher an eine Erweiterung der Gau- mennaht, vorzugsweise mit intraossär verankerten Gerä- ten, gedacht werden. Die Mög- lichkeit, nach Abschluss des Wachstums ein Größendefizit der Maxilla durch chirurgische Verfahren wie Osteotomien oder Distraktionstechniken, auszugleichen, bleibt je nach Ausgangslage dabei immer noch eine verlässliche Op- tion. Adresse Prof. Dr. Dr. Ralf J. Radlanski Charité – Campus Benjamin Franklin Freie Universität Berlin Zentrum für Zahn-, Mund- und Kieferheilkunde Assmannshauser Str. 4–6 14197 Berlin Tel.: 0 30/45 05 62-2 01 Fax: 0 30/45 05 62-9 02 E-Mail: ralfj.radlanski@charite.de http://oralstruktbiol.charite.de/ Abb. 10b: Frontaler Kopfbiss und lückige Frontzahnstellung, horizonale Gummizüge und Delaire Maske. Abb. 5: Aufhellungspräparat eines menschlichen Fetus 210mm SSL (22. SSW), Knochen mit Alizarinrot und Knorpel mit Alcianblau gefärbt. Die Maxilla zeigt einen mehr spongiösen Knochenbau, die Mandibula ist kompakter. In der Mandibula sind die Krypten der Zahnanlagen erkennbar. In der Gesichtsmitte sind beide Knochen noch geteilt. Maßstabsmarke: 5mm. Aus [3]. Abb. 6: Gegenüberstellung eines Schädels eines Neugeborenen und eines Erwachsenen in der Ansicht von anterior und von rechts zur Darstellung der Proportionsveränderungen zwischen dem Neurocranium (farbig markiert) und dem Viscerocranium. Aus [3]. Fortsetzung von Seite 7 N. infraorbitalis, dann ein wei- teres im Bereich des F. pala - tinum und danach eines im Bereich des F. incisivum. Von diesen paarig angelegten Knochenzentren breitet sich die Verknöcherung der Ma- xilla aus (Abb. 2–4). Die Prämaxilla, die von ei- nigen Autoren getrennt beschrieben wird, ist Teil der Maxilla. Anders als die Mandibula zeigt die Ma- xilla einen Postnatale Entwicklung Die postnatale Ent- wicklung der Ma- xilla ist durch eine enorme Veränderung ihrer Proportionen gekenn- zeichnet (Abb. 6): Noch zur Zeit der Geburt ist die Maxil- la ausgesprochen flach, aber so- bald sich in ihr die Zähne entwi- ckeln und in die Mund- h ö h l e Abb. 7: Remodellierungsvorgänge an der Maxilla. Knochenanbau (weiße und graue Pfeile) und Knochen- abbau (rote Pfeile). Modifiziert nach [1]. mehr spongiösen Knochen- bau (Abb. 5). Dies wird damit erklärt, dass sie nicht solchen Kräften und Verwindungen unterliegt wie die bewegliche Mandibula. Für die postna- tale kieferorthopädische Be- handlung ist diese Beobach- tung von besonderer Bedeu- tung, denn bei Änderung der Krafteinwirkung auf den Knochen ändert sich auch dessen Form. Aufgrund ihrer weniger ausgeprägten Korti- kalschicht spricht die junge Maxilla hierauf auch besser an. durchbrechen, nimmt sie an Höhe zu (Abb. 8a, b). Ihre transversale und sagittale Vergrößerung steht auch in engem Zusammenhang mit der Entwicklung der Nasen- höhle und der Nasenatmung. Dies ist mit je nach Region unterschiedlich stark ausge- prägtem Abbau und Aufbau von Knochen verbunden (Abb. 7). Die Prinzipien der von Melvin L. Moss beschriebenen funk- tionellen Matrix, nach der auch postnatal auf die Ge- webe einwirkende Kräfte we- a b Abb. 8: Schematische Darstellung des Anteils der Gebissentwicklung an der Größenentwicklung der Gesichtsregion: 3-jähriger Junge (a), 18-jähriger Erwachsener (b). Aus [3]. kann und dass der Patient das Gerät gut trägt (Abb. 9d). Auch wenn der günstige Be- handlungszeitpunkt verpasst worden ist, das Wachstum der Maxilla oder zumindest ihres Alveolarfortsatzes (Processus alveolaris maxillae) noch im frühen Wechselgebiss ausrei- chend zu fördern (Abb. 9a–d), besteht durchaus noch die Möglichkeit des dentoalveo- lären Ausgleichs im bleiben- den Gebiss eines jungen ju- gendlichen Patienten. Hier ist allerdings das Vorliegen einer maxillären Hypolasie differen- zialdiagnostisch abzugrenzen. Im vorliegenden Fall konnte durch Anwendung einer Multi- bandapparatur und durch den Einsatz einer intensiv getrage- nen Delaire Maske (Abb. 10a) eine sehr ungünstige fronta- le Kopfbissverzahnung (Abb. 10b) mit einer dental mesialen sentlich ihre Form bestimmen, haben bis heute Gültigkeit. Diese Kräfte können im In- neren des Gewebes erzeugt werden, z. B. wenn sich die Zähne bilden und die Zähne in die Mundhöhle durchbrechen. Aber auch von außen auf das Gewebe einwirkende Kräfte, wie die Zunge oder sogar auch die, wenn auch mit geringen Kräften, aber dennoch permanent durch die Nasenhöhle strömende Atem- luft, wirken formgestaltend. Auf dieser Erkenntnis basiert die Funktionskieferorthopä- die als therapeutisches Prin- zip. Wenn ein Kreuzbiss vor- liegt, der auf ein Wachstums- defizit der Maxilla zurückzu- führen ist, kann er auch selbst das weitere Wachstum der Maxilla blockieren (Abb. 9a). Zur Therapie ist es dann fol - gerichtig, jeglichen Druck von vestibulär auf den Alveolar - fortsatzknochen fortzunehmen und den Druck von palatinal zuzulassen. Auf dieser verblüffend einfa- chen, aber biologisch wohl fundierten Erkenntnis be- ruht das Wirkungsprinzip des Funktionsreglers nach Rolf Fränkel (Abb. 9b, c). Voraus- setzung ist, dass auch der Biss gesperrt wird, damit der Kreuzbiss überstellt werden Abb. 9a: Dentoalveolär bedingter Kreuzbiss bei 52-53/82-83 bei einem 5-jährigen Kind. Abb. 9b:Wachstumsförderung der apikalen Basis der Maxilla zur Überstellung der Kreuzbisssituation mit einem Funktionsregler (III) nach Fränkel. Abb. 10a: Dentoalveoläre Korrektur einer frontalen Kreuz- bissverzahnung mit einer Multibandapparatur und einer Delaire Maske bei einer 15-jährigen Patientin. Abb. 10c: Lückenschluss nach anterior und weitgehende Überstellung der Kopfbisssituation. Abb. 9c: Unter dem Funktionsregler hat sich der Alveolarfortsatz transversal erweitert, die Zähne 11 und 21 brechen korrekt durch. Abb. 9d: Die Kreuzbisssituation ist beseitigt; auf dem Zahn 52 ist noch die Schlifffacette, verursacht durch die Kreuzbisssituation (Abb. 8a), zu erkennen. Abb. 10d: Frontaler Kopfbiss und Klasse III-Relation in der Ansicht von lateral. Abb. 10e: Dentoalveolärer Ausgleich im Bereich der Frontzahngruppen und im Seitenzahnbereich nach Abschluss der Behandlung.