12 | www.kn-aktuell.de WISSENSCHAFT & PRAXIS Nr. 7/8 | Juli/August 2010 30 Jahre Twin Block – Erfahrungen des Geräteentwicklers Dr. Clark Im Jahre 1977 schuf Dr. William J. Clark eine Apparatur zur Korrektur falscher Bisslagen – den Twin Block. Heute – über drei Jahrzehnte später – stellt der Einsatz dieses Geräts eine der weltweit meistgenutzten funktionskieferorthopädischen Techniken dar. Für das folgende KN-Interview greift der Kieferorthopäde aus Schottland auf seinen umfangreichen Erfahrungsschatz zurück und gibt wertvolle Empfehlungen für den klinischen Alltag. erhalten. Zwölf bis 18 Mona - te sollten die Twin Blocks getragen werden, gefolgt von einer Retention für die Be- handlung im frühen Wech- selgebiss. Nachts können sie dann als Retainer getragen werden. Bevorzugen Sie die Ein- oder Zweiphasenbehandlung? Und können Sie diesbezüg- lich ein paar Empfehlungen geben? Die Wahl zwischen der ein- oder zweiphasigen Therapie hängt vom individuellen Pa- tienten und dem Schwere- grad der Malokklusion ab. Patienten mit einer ausge- prägten Klasse II/1-Malok- klusion könnten in ihren Ent- wicklungsjahren ein einge- schränktes Selbstbewusst- sein entwickeln und somit dem Necken durch ihresglei- chen ausgesetzt sein. Auch sind die vorderen Schneide- zähne sehr bruchanfällig. Dann ist eine Frühbehand- lung zum Reduzieren des Oberjets indiziert, gefolgt – sofern notwendig – von einer zweiten Phase im bleibenden Gebiss. Eine weniger ausge- prägte Malokklusion könnte zunächst akzeptiert und im bleibenden Gebiss dann im Rahmen einer Einphasenbe- handlung korrigiert werden. Was ist Ihr bevorzug- ter Konstruktionsbiss (Kante- Kante, stimmige Mitten)? Für einen Overjet bis 10 mm bei einem Patienten mit tie- fem Überbiss und horizonta- lem Wachstumsmuster ferti - ge ich normalerweise einen Kante-zu-Kante-Biss an den Schneidezähnen mit 2 mm in- ter-inzisalem Raum. Bei einer ähnlichen Malokklusion mit einem Overjet von mehr als 10 mm kann der Patient die Kanten der Schneidezähne (Kante-Kante) nicht bequem treffen und die Registrierung des Anfangsbisses somit zwi- schen 8 und 10 mm liegen, um eine teilweise Reduzierung des Overjets zu erzielen. Nach drei bis vier Monaten, wenn eine Muskelanpassung er- folgt ist, kann der Patient nun bequem einen Kante-zu- Kante-Biss auf den Schneide- zähnen ausführen und die unteren Schneidezähne vor den oberen Schneidezähnen schließen. Nun wird eine zwei - te Bissregistrierung wie oben beschrieben genommen – Kante-zu-Kante mit 2 mm in- ter-inzisalem Raum. Die Twin Blöcke werden aktiviert, um die Korrektur abzuschließen. Patienten mit vertikalem Wachstum und einem ante- rioren offenen Biss verfügen über eine schwache Musku - Fallbeispiel Fallbilder einer 14-jährigen Patientin Die Erweiterung der Maxilla und das Proklinieren der Schneidezähne lösen die Malokklusion auf und erleichtern die Vorverlagerung des Unterkiefers, um die distale Okklusion zu verbessern. Eine Klasse II/2-Malokklusion mit retroklinierten oberen Schneidezähnen und bukkal verlagerten oberen Eckzähnen erfordert eine Bogenentwick- lung, um die verlagerten Eckzähne eingliedern zu können. Eine kurzweilige Behandlung mit Twin Blocks zur Korrektur der distalen Okklusion wird ge- folgt vom Einsatz einer transversalen TransForce-Apparatur zur Verbreite- rung der maxillären Bogenform und zum Vorschieben der Schneidezähne, damit die Eckzähne eingegliedert werden können. In dieser Phase wird eine feste Apparatur im OK eingebracht, um die kieferorthopädische Korrektur abzuschließen. a Abb. 1a: Vor der Behandlung – maxilläre Kontraktion und distale Okklusion. b Abb. 1b: Distale Okklusion mit bukkal eingeengten 3/3. d Abb. 1d: Eingebrachter festsitzender TransForce-Expander im OK. c e Abb. 1c: Nach dreimonatiger Behandlung mit Twin Blocks ist die distale Okklusion korrigiert. Abb. 1e: Nach zehn Monaten sind die Bogenform korrigiert und die 3er eingeordnet. 2a 2c 2b 2d Abb. 2a: Bogenform vor Behandlungsbeginn. Abb. 2b: Korrigierte Bogenform. Abb. 2c, d: Korrigierte Okklusion. latur und können eine große mandibuläre Vorwärtsstel- lung nicht so leicht beibehal- ten. Hier ist die Bissregistrie- rung weniger fordernd und es wird eine schrittweise Akti- vierung der Blöcke benötigt. Hierfür kann eine okklusale Schraube in die Blöcke inse- riert werden. Wird die Mehrzahl der Fälle mit einem oder mehre- ren Twin Blocks erfolgreich abgeschlossen? In den 33 Jahren, in denen ich den Twin Block anwende, kann ich die Zahl der Fälle, bei denen ich mehr als eine Twin Block-Apparatur ange- passt habe, um die Behand- lung abzuschließen, an we- niger Fingern abzählen, als meine Hände aufweisen.2 Verwenden Sie auch eine alternative FKO-Apparatur? In einigen Fällen des Wech- selgebisses kann ich den Bio- nator wählen, je nach Alter und Entwicklungsstadium. Dies wür de sich anbieten, wenn die durchgebrochenen Zähne keine adäquate Re- tention für Halteklammern aufweisen. Was halten Sie von Twin Block-Modifikationen wie die Bite Jumping Screw? Ich halte den Einsatz der Bite Jumping Screw zur schritt- weisen Vorverlagerung bei Fällen vertikalen Wachstums mit Klasse II-Malokklusion für geeignet. Als ich diese Schraube zum ersten Mal sah, stellte ich sofort fest, dass diese eine Anwendungs- möglichkeit zur stufenwei- sen Aktivierung der Reverse Twin Blöcke bei der Korrek- tur von Klasse III-Malok - klusionen haben würde. Die Aktivierung funktionskiefer - orthopädischer Apparaturen zur Korrektur von Klasse III- Anomalien ist begrenzter als bei Klasse II-Fehlstellungen. Der Unterkiefer kann, wäh- rend er sich nach vorn be- wegt, nicht zurückgleiten. Die aktive Komponente muss daher in der Apparatur inte- griert sein. Reverse Twin Blöcke können eine Kombination aus sagit- talen Schrauben, Dreiweg- schrauben und okklusalen Schrauben verwenden, um den Oberkiefer vorzuschie- ben. Die Bite Jumping Screw hat eine Aktivierungsspanne von 6 mm und ist somit ideal für diesen Zweck geeignet. 1 Chintakanon, K, Turker, K.S, Sampson, W, Wilkinson T, & Townsend G, (2000): Effects of Twin-block theapy on protru- sive muscle functions. Am. J. Orthod. & Dentofac. Orthop, 118, 392–396. 2 Clark W.J. (2010): Design and ma- nagement of Twin Blocks: Reflections after 30 years of clinical use. In Press to be published in the Journal of Ortho- dontics. Kurse mit Dr. William J. Clark sind auch nach über 30 Jahren Twin Block heiß begehrt. So wird es z. B. am 3./4. Dezember 2010 am Universitätsklinikum Regensburg ein zweitägiges Se- minar geben. Nähere Informa- tionen unter www.realkfo.com Dr. William J. Clark Welches ist Ihre bevor- zugte Altersgruppe beim Ein- satz der Twin Block-Appara- tur? Das frühe bleibende Gebiss stellt einen idealen Zeit- punkt für eine Einphasenbe- handlung dar, denn häufig stimmt dieses mit dem pu - bertären Wachstumsschub für eine bes te Entwicklungs- reaktion überein. Gleichwohl kann für Patien- ten mit einem großen Overjet eine frühe Behandlung indi- ziert sein, insbesondere dann, wenn die Schneide zähne vor- stehen und anfällig für Brü- che sind. Dies erfordert häu- fig zwei Behandlungsphasen mit einem Finishing, um die Okklusion im bleibenden Ge - biss zu verfeinern. Welche Tragezeit emp - fehlen Sie (24/7) und was wäre hierbei das Minimum, um positive Effekte zu er - kennen? Positive Effekte können in - nerhalb der ersten drei Be- handlungsmonate beobach- tet werden, wobei die Mus- kelanpassung bei ganztägi- gem Tragen der Apparatur sehr schnell auftritt. Die Pa- tienten entwickeln eine be- ständige Lippenkompetenz und beobachten während die - ser Phase deutliche Verbes- serungen des Erscheinungs- bildes ihres Gesichts. Mehr Zeit jedoch ist für die knöcherne Anpassung als Re - aktion auf die funktionelle mandibuläre Weiterentwick- lung erforderlich. Eine For- schungsarbeit in Adelaide1 un ter Verwendung von MRT- Scans bestätigte, dass nach sechsmonatiger Twin Block- Therapie für gewöhnlich die Kondylen in die Fossa gleno - idalis verlagert werden. Um sicherzustellen, dass die knö- cherne Umgestaltung in der Fossa glenoidalis abgeschlos- sen ist, wird empfohlen, das Tragen des Twin Blocks für weitere drei Monate fortzu- setzen, bevor auf ein nächtli- ches Tragen zur Retention re- duziert wird oder man mit ei- ner festsitzenden Apparatur fortfährt, sofern dies erfor- derlich ist. Der Behandlungszeitraum beim Wechselgebiss ist län- ger, wobei eine langsame Wachstumsperiode sowie funktionelle Retention er- forderlich sein können, um die Korrektur während des Übergangs vom Wechsel- zum bleibenden Gebiss zu