4 | WISSENSCHAFT & PRAXIS Nr. 9 | September 2010 „Minischrauben bewegen sich durchaus“ Fallbeispiel 1 Abb. 2: Der Horseshoe Jet ist eine patentierte Version des von Bowman modifizierten Distal Jet, der sich der reinen skelettalen Verankerung mittels zweier Minischrauben jedweder Art bedient. Hierbei wird keine Verankerung von den Prämolaren oder einem Nance Acrylbutton abgeleitet. Das Gerät ist mesio-distal justierbar und Stahlligaturen werden von den Minischrauben zum Horseshoe Draht ge - bunden. Obgleich zwischen erstem Molar und zweitem Prämolar inserierte Minischrauben empfohlen werden, können auch Schrauben neben der mittleren palatinalen Sutura oder dem anteriorem Gaumen verwendet werden. Fortsetzung von Seite 1 Wir erprobten verschiedene Designs (darunter auch eines, das dem von Kinzinger und Mitarbeitern entsprach; wir publizierten dieses Konzept gemeinsam im Journal of Clinical Orthodontics), doch ich kehrte schließlich zum Originaldesign, dem Horse - shoe Jet, zurück. Das ist das wesentlichste Grundkonzept, es beruht auf einer rein ske - lettalen Verankerung und so- mit kann kein anteriorer Ver- lust auftreten. Ich denke, dass ich für mich daraus schluss- folgere, meine primäre In - dikation für Minischrauben müss te die Klasse II-Malok- klusion sein. Ich setze Mini- schrauben bei En masse-Re- traktionen, zur Distalisierung von Molaren, zur Retraktion nach Extraktionen, zur Kon- trolle der vertikalen Dimen- sion (z. B. Molarenintrusion, Schneidezahnextrusion), zur Protraktion von unteren Mo- laren und auch als Hilfsmittel zur Reduzierung des iatro - genen labialen Tippings der unteren Frontzähne bei fes- ten funktionellen Apparatu- ren ein. Welche Schraubenlänge, welchen Durchmesser und Schraubenkopf setzen Sie am häufigsten ein? Die überwiegende Anzahl der von uns eingesetzten Schrau- ben ist 6 mm lang und misst 1,3 bis 1,5 mm im Durchmesser. Vor etwa einem Jahr habe ich mit Axel Bumann darüber dis- kutiert und wir kamen zu dem Schluss, dass die Länge der Schraube offenbar keinen Ein- fluss auf die Verlustrate hat und damit die 6-mm-Schraube für die meisten Anwendungen perfekt geeignet ist. Ich habe auch eine Auswahl von 7 bis 8 mm langen Schrauben und solche mit 2 mm Durchmes- ser für palatinale Anwendun- gen, mit denen sich das auf - tretende palatinale Tipping re duzieren lässt. Vielleicht ist es interessant zu wissen, dass auch Minischrauben schein- bar keine „absolute“ Veran - kerung bieten und sich durch- aus auch bewegen; sie neigen sich. Es wäre also vermessen, von ihnen die Eigenschaften eines Bjork-Implantats zu er- warten. Ich möchte auch erwähnen, dass „Wurzelnähe“ zwar eine der häufigsten Ursachen für A N Z E I G E Abb. 3a Abb. 3b Abb. 3c Abb. 4a Abb. 4b Abb. 4c Abb. 5a Abb. 5b Abb. 5c Abb. 5d Abb. 6a Abb. 6b Abb. 6c Abb. 6d Abb. 3a–6d: Erwachsene weibliche Patientin der Klasse II mit Engstand, der mithilfe minischraubenunterstützter Distalisation mit dem Horseshoe Jet behandelt wurde. Es wurde im Oberkiefer so lange keine feste Apparatur einligiert, bis diese erforderlich war, um ein unerwünschtes Neigen der Schneidezähne zu vermeiden. Dies ist sowohl hygienischer als auch ästhetischer. Während die Molaren ohne irgendeinen Verlust an Verankerung distalisiert werden, beginnen die Prämolaren aufgrund der transseptalen Fasern nach distal zu wandern. vorzeitige Lockerung zu sein scheint, aber auch die biolo - gischen Reaktionen von Wur- zelbewegungen und Kontak- ten mit Schrauben unter- schiedlich ausfallen können. Wird eine Schraube sehr nahe dem oder in das Desmodont inseriert, dann ist der Verlust meiner Ansicht nach vorpro- grammiert. Wird jedoch eine Wurzel bewegt und berührt dabei eine Schraube, bleibt die Verankerung oftmals er- folgreich erhalten. Die Auswahl der Kopfform ei- ner Schraube richtet sich nach dem Einsatzzweck. Wenn nur direkte Kräfte aufgebracht werden sollen (Zug oder Druck), kann wahrschein- lich jede beliebige Kopfform verwendet werden. Manche Schrauben verfügen jedoch über spezielle Eigenschaften, die besondere Einsatzgebiete ermöglichen. Sollen indirekte Kräfte aufgebracht werden, dann ist ein Kopf mit einem Schlitz oder einem Kreuz- schlitz zu empfehlen. Seg- mente eines quadratischen oder rechteckigen Drahtes können dann so befestigt wer- den, dass die beabsichtigte Biomechanik entsteht. Welche Region halten Sie für die erfolgreichste Implan- tationsstelle? Am häufigsten setze ich die Schrauben im bukkalen Al - veolus an der mukogingivalen Grenze zwischen dem ersten Molaren und dem zweiten Prämolaren in allen vier Qua- dranten ein. Daneben habe ich herausgefunden, dass der palatinale Alveolus zwischen dem maxillären ersten Mola- ren und dem zweiten Prämo- laren ein idealer Implanta- tionsort sowohl für die Dis - talisierung von Molaren als auch für die Protrahierung der maxillären Dentition ist. Da ich Überraschungen nicht mag (und die meisten Patien- ten auch nicht), sage ich gleich, dass mit einem Verlust von 20 % der implantierten Schrauben zu rechnen ist und diese Verluste am häufigsten bei Schrauben auftreten, die zwischen dem unteren rech- ten ersten Molaren und dem zweiten Prämolaren inseriert werden. Diese Zahlen basieren auf einer koreanischen Stu- die und decken sich mit mei- nen klinischen Erfahrungen. Stärkeres Kauen und kräfti- geres Putzen wären die einzi- gen rationalen Erklärungen für dieses Phänomen. Setzen Sie die Schrauben selbst? Was empfehlen Sie Einsteigern? Ursprünglich haben ein Pa - rodontologe und ein Facharzt für Mund- und Kieferchirur- gie die Schrauben eingesetzt, als ich mit der Biomechanik begann, und ich wollte nicht gerade die Lernkurve für meine Untersuchungen nut- zen. Nachdem ich die ersten 100 Schrauben inseriert hatte, wurde mir klar, dass ich die Schrauben selbst setzen muss, um sicherzugehen, dass sie genau dort eingebracht wur- den, wo ich es wollte. Außer- dem waren die zusätzlichen Kosten, die Zeit, die Frustra- tion der Patienten über den Besuch zusätzlicher Praxen zum Inserieren oder Ersetzen verloren gegangener Schrau- ben problematisch. Wie viele andere Kieferorthopäden in den USA hatte ich lange Zeit (25 Jahre) keine Spritze mehr angefasst, doch das wurde schnell Routine und Teil mei- ner täglichen Arbeit. Ich empfehle Einsteigern mit einem Interesse für Mini- schrauben zunächst die wirk- lich notwendige sorgfältige Unterweisung in Hands-on- Kursen verschiedener Do- zenten, die auch mit unter- schiedlichen Schraubensys- temen arbeiten. Ich würde mir zusätzlich eine Auswahl von Lehrbüchern zu Minischrau-