10 | www.kn-aktuell.de WISSENSCHAFT & PRAXIS Nr. 12 | Dezember 2011 a d b e c f Abb. 7a–c: Neutrale Okklusion mit gesicherter sagittaler und vertikaler Frontzahnstufe. – Abb. 7d, e: Harmonische OK- und UK-Zahnbögen. – Abb. 7f: Frontzahn - situation nach Auflösung der Engstände in beiden Kiefern. a b Abb. 8a, b: Die extraoralen Aufnahmen nach der Behandlung. Fortsetzung von Seite 8 Diskussion Therapeutisches Vorgehen Für die Behandlung und geplan- ten Zahnbewegungen wurde ei - ne festsitzende Apparatur (0.022⬙ x 0.028⬙ Slot-Brackets) eingeglie- dert. Aufgrund der Achsenstel- lung der Fronten sollte eine über- mäßig labiale Kippung bei der Auflösung des Engstandes ver- mieden werden. Um dies weitest- gehend umzusetzen, wurde im gesamten Frontzahngebiet inklu- sive der Mesialfläche der Ober- und Unterkiefereckzähne um ins- gesamt 2,0 bis 2,5mm gestrippt (0,20–0,25 je Approximalfläche). Die Form der Zähne und der Verlauf der Gingiva ließ dies zu (Abb. 5, Abb. 6a–e). Um den knap - pen Überbiss nicht zu verlieren, wurden zwischen den oberen Eck- zähnen einerseits und den un te - ren Eckzähnen sowie ersten Prä- molaren andererseits up & down- elastics in Form eines Dreieckes eingehängt. In den später einge- gliederten Stahlbogen wurde zu- dem eine entsprechende Extru- sionsstufe für die Front einge - arbeitet. Die Zahnbögen waren lückenlos ausgeformt und nivel- liert. Im Seitenzahngebiet blieb die Okklusion unverändert, die Frontzahnstufe war in sagittaler und vertikaler Richtung physio- logisch (Abb. 7a–f). Es trat keine Profilveränderung ein (Abb. 8a und b). Die Fernröntgenaufnah - me (Abb. 9) lässt die dentalen Verände rungen erkennen; auf- grund der Zahnhartsubstanz - reduktion kam es zu einer ver- gleichsweise geringen, labialen Kippung beider Fronten. Zur Re- tention wurde an den Unterkie- fereckzähnen ein Retainer aus halbrundem Draht fixiert. Die Stabilisierung der Front- und Eckzähne erfolgte mit einem geklebten Retainer. Zusätzlich wur den im Ober- und Un ter - kiefer Re tentionsplatten einge- setzt (Abb. 10). Der größte Vorteil bei der appro- ximalen Schmelzreduktion liegt in der Vermeidung einer Extrak- tion. Während bei der Extraktion von zwei Prämolaren ein Platz- gewinn zwischen 12–15mm er- zielt wird, dieser jedoch selten dem erforderlichen Platzbedarf entspricht, kann durch die ap- proximale Reduktion der Platz- gewinn dem individuell nötigen Bedarf angepasst werden. Auf- grund des minimierten Lücken- schlusses reduzieren sich eben- falls die benötigte Zahnbewe- gung und damit die Folgen, die Dentale Analyse thopädische Behandlung ohne Extraktion die Gesundheit des parodontalen Gewebes und der Zähne weniger beeinflusst. Verschiedene Studien, die Pa- tienten mit einer kieferorthopä- dischen Behandlung und Extrak - tionstherapie mit einer unbehan- delten Kontrollgruppe verglichen, konnten keinen signifikanten Un - terschied bezüglich parodontaler Erkrankungen finden. Vielmehr bestätigten die Autoren, dass ei - ne Behandlung, die während der Adoleszenz durchgeführt wird, kein Faktor ist, der die Gesundheit des Parodontiums auf lange Sicht schädigt. Parameter Durchschnitt Vor der Behandlung Nach der Behandlung +1 – NL (°) +1 – NS (°) +1 – NA (°) +1 – NA (mm) -1 – ML (°) -1 – NB (°) -1 – NB (mm) 70 ± 5 77 ± 2 22 ± 3 4 90 ± 3 25 ± 3 4 Interinzisalwinkel 135 ± 10 67 72 26 6 86 25,5 3 mm 128,5 66,5 71 28 6,5 84 27 3,5 124 Tab. 1: Dentale Parameter vor und nach der kieferorthopädischen Behandlung. mit großen Zahnbewegungen zu - sammenhängen, wie Wurzelspit- zenresorptionen. Ein weiterer Vorteil ist die verkürzte Behand- lungsdauer. Aus ästhetischer Sicht lässt sich die Vermeidung triangulärer Zo- nen als Folge der Vergrößerung der Interdentalräume anführen. Ebenfalls ist das Risiko einer Abflachung des Profils durch Lingualkippung der anterioren Zähne nicht gegeben. Hinsichtlich der Stabilität konn- ten Untersuchungen Williams zei- gen, dass sich der Einsatz perma- nenter Retainer in der Front des Unterkiefers reduzieren konnte. Aufgrund der Indikation des in - terdentalen Strippens stellt sich hier die Frage, ob eine kieferor- Langzeitstudien weisen darauf hin, dass die Kieferorthopädie kei ne Schäden setzt, anderer- seits besagen diese Studien aber auch, dass sie den langfristigen Erhalt eines gesunden Parodonts nicht begünstigt. Ein weiterer Punkt ist die Auswirkung der MB- Behandlung hinsichtlich Wurzel - resorptionen. Ein Zusammen- hang besteht zwischen dem Al- ter des Patienten in dem Sinne, dass bei Erwachsenen häufiger Wurzelresorptionen auftreten. Bei der Aussage über einen Zu- sammenhang mit der Art der Behandlung – mit oder ohne Ex - traktion – sind die Aussagen verschieden. Als ursächlicher Faktor wird aber die Dauer der Behandlung von allen Autoren Abb. 10 Abb. 9 Abb. 9: Die FRS-Aufnahme zum Behandlungsende. – Abb. 10: Zustand zehn Jahre nach Behandlungsende. bejaht. Die Folgen der Wurzel - resorption auf die Stabilität der Zähne sind ohne Frage geringer als die Folgen des Knochenver- lustes. Nach Goldin gibt es im Be- reich des Alveolarfortsatzes we- sentlich mehr parodontale Fa- sern als in der apikalen Zone, und nach den Untersuchungen Kalk- warfs entsprechen 3mm Wurzel- resorption etwa 1mm Verlust an Alveolarknochen. Die Zahnschmelzreduktion hin - terlässt an den betroffenen Zäh- nen Rillen von einer Tiefe zwi- schen 10–30µ. Die Anwendung von Diamant- streifen verursacht dabei die raueste Oberfläche. Eine dadurch erhöhte Kariesfrequenz konnte allerdings nicht nachgewiesen werden. Zachrisson begründet diese Tatsache damit, dass es sich bei dem Zahnschmelz um eine dynamische Oberfläche han - delt, die sich remineralisiert und stabilisiert (Zit. N. Fillion). Eine Studie von Mangoury konnte elektronenmikroskopisch nach neun Monaten eine Reminerali- sation nachweisen. Als Grundsatz der Schmelzre- duktion muss jedoch gelten, die Schmelzdicke maximal auf die Hälfte zu reduzieren, um einen ausreichenden Schutz des Zah- nes zu gewährleisten. Eine Ver- ringerung bei korrekt stehenden Zähnen verkleinert den Inter- dentalraum und damit das Sep- tum. Bei eng stehenden Zähnen wird der Interdentalraum grö- ßenmäßig erhalten bzw. vergrö- ßert, wenn die Reduktion die Überlappung der Zähne nicht überschreitet. Je schmaler der in - terdentale Knochen ist, desto un- empfindlicher ist er gegenüber parodontalen Erkrankungen. Die Widerstandsfähigkeit des inter- radikulären Knochens steigt bei Reduktion, während die Emp- findlichkeit des parodontalen Gewebes steigt. Eine Verklei - nerung des Approximalraumes führt weiterhin zu einer Vertie- fung des Papillenplateaus und be- günstigt dadurch eine vermehrte Plaqueretention. Des Weiteren steigt die Empfindlichkeit des dünnen, nichtkeratinisierten Epi - thels, die zusammen mit der Ver- ringerung des Bindegewebes zu parodontalen Problemen führen kann. Wird der interradikuläre Spalt un - ter 0,5mm verringert, verschwin- det der medulläre Knochen, bei einer Annäherung unter 0,3mm außerdem die Laminae durae, woraufhin es zu einer Verbin- dung der Zähne über die paro- dontalen Ligamente kommt. Die Folge sind laterale Wurzelre- sorptionen. Die Reduzierung des medullären Knochens führt zu einer verbesserten parodontalen Abwehrkraft, andererseits redu- ziert sich aufgrund der starken Vaskularisierung die Regenera- tionsfähigkeit. Bei Patienten mit parodontalen Erkrankungen ist daher Vorsicht geboten. Die zitierten Autoren und ihre Un tersuchungen konnten eindeu- tig den Vorteil der approximalen Schmelzreduktion unterstrei- chen. In Fällen, in denen ei ne Ex - traktion zum Verlust zu großen Zahnvolumens führt, ist sie un- bestritten das Mittel der Wahl. Kurzvita Prof. Dr. med. dent. Nezar Watted (cid:129) 1983–1985 Studium der Mathematik und Volkswirtschaft, Hebrew Univer- sity Jerusalem/Israel (cid:129) 1985–1991 Studium der Zahnmedizin, Universität Würzburg (cid:129) 1992–1994 Zahnarzt in einer Privat - praxis (cid:129) 1994 Wiss. Angestellter in FZA-Wei - terbildung auf dem Gebiet der Kiefer - orthopädie, Poliklinik für KFO, Univer- sität Würzburg (cid:129) 1997–2002 Leitender OA, Poliklinik für KFO, Julius-Maximilians-Universität Würz burg (cid:129) 2001 Habilitation, Medizinische Fakul- tät, Universität Würzburg (cid:129) 2001 Ernennung zum Privatdozenten (cid:129) 2002 Privatdozent, Poliklinik für ZMK, Universität Würzburg und in Privat - praxis (cid:129) Schwerpunkte: Ästhetik in der KFO, kombiniert kieferorthopädisch-kiefer- chirurgische Behandlung, kombiniert parodontologisch-kieferorthopädi- sche Therapie parodontal geschädig- ter Gebisse sowie die FKO Adresse Prof. Dr. med. dent. Nezar Watted Center for Dentistry and Aethetics Chawarezim Street 1 30091 Jatt/Israel E-Mail: nezar.watted@gmx.net