Nr. 6 | Juni 2012 AUS DER PRAXIS | 13 Rechtliche Aspekte der Alignerbehandlung (3) Ob juristische Besonderheiten, gerichtliche Entscheidungen zu speziellen Befundsituationen, Verständigungen mit privaten Krankenversicherungen oder Fragen zu Abrechnung und Begutachtung – eine vierteilige KN-Artikelserie vermittelt sämtliche rechtliche Aspekte rund um die Alignerbehandlung. Ein Beitrag von RA Michael Zach. Teil 3 I. Meinungsfreiheit in der Leistungsprüfung Jeder Leistung eines Kostenträ- gers geht eine Leistungsprüfung voraus. Die Planung des Kiefer - orthopäden wird durch einen Be- ratungsarzt oder einen Sachbear- beiter des Kostenträgers geprüft. Der Beratungsarzt soll dann beurteilen, ob es bei objektiver Betrachtung im Zeitpunkt der Behandlungsplanung vertretbar war, die vorgesehene Behand- lung als geeignet anzusehen, das Therapieziel zu erreichen. Es ist leider des Öfteren zu beobach- ten, dass diese Plausibilitätsprü- fung dann verkehrt wird zu einer Disqualifikation des Behandlers und des von ihm befürworteten Behandlungsansatzes: So hatte der Beratungsarzt der H.-Versicherung mit Sitz in Stutt- gart behauptet, die vorgesehene Align erbehandlung sei nicht ge- eignet, das Therapieziel zu errei- chen und die Versicherung ver- weigerte da raufhin die Leistungs- erstattung. Der Patient erhob Klage auf Erstattung der Behandlungs- kosten und der Kieferorthopäde auf Un terlassung der Behaup- tung, dass seine Behandlung un- geeignet und nicht notwendig sei. Während der Rechtsstreite konn - te die Behandlung erfolgreich ab - geschlossen werden und die Ver- sicherung musste nach entspre- chender Begutachtung durch ei- nen Sachverständigen zahlen. Der Kieferorthopäde vertrat die Auf- fassung, dass er die Eignung sei- ner Planung und somit die Un- richtigkeit der Behauptung des Beratungsarztes bewiesen habe, sodass dieser die Behauptung künftig zu unterlassen und zu widerrufen habe. Dennoch wies das Gericht die Klage ab, da eine ärztliche Diag - nose nicht als Tatsachenbehaup- tung, sondern in der Regel als bloße Wertung zu verstehen sei, die im Rahmen der freien Mei- nungsäußerung zulässig ist. Dies verblüfft, da doch eine Diagnose im Wege differenzialdiagnosti- schen Erkenntnisfortschritts ge- rade darauf angelegt ist, bestätigt oder widerlegt zu werden, also dem Wahrheitsbeweis zugäng- lich zu sein scheint. Der Bereich ärztlicher Diagnostik ist jedoch geprägt von der Begrenztheit me- dizinischer Erkenntnis, von der Wandelbarkeit des angetroffenen Befundes und von der Vorläufig- keit ärztlicher Therapieansätze. Dieses Primat der Meinungsäuße- rung gegenüber der Tatsachen- behauptung bezweckt auch den Schutz der ärztlichen Therapie- freiheit und des Arzt-Patienten- Verhältnisses. Bis zur Grenze der Schmähkritik sind derartige Äu- ßerungen der Beratungsärzte des- halb zulässig und zwar selbst dann, wenn sich Zweifel an der Richtigkeit dieser Einschätzung geradezu aufdrängen. In anderer Konstellation hatte der Beratungsarzt der L-Versicherung mit Sitz in Lüneburg mitgeteilt, dass er die Behandlungsplanung für behandlungsfehlerhaft halte und angeregt, der Patient möge ANZEIGE Regressansprüche gegen den Kie- ferorthopäden in Betracht ziehen. Auch hier wurde die medizini- sche Notwendigkeit durch den gerichtlich bestellten Sachver- ständigen bestätigt und der Pa- tient erhielt die tarifliche Kosten- erstattung. Das Gericht sah aber auch diese – eindeutig zu weit- gehende Äußerung – des Bera- tungsarztes als noch von seiner Meinungsfreiheit gedeckt an. Auch wenn sich die vom Bera- tungsarzt erhobenen gebühren- rechtlichen Beanstandungen bei gerichtlicher Überprüfung nicht bestätigen, kann hierin nicht der gegen den Arzt gerichtete Vor- wurf der falschen Abrechnung er- kannt werden, der ihm die „mo- ralische Integrität“ aberkenne. Solchen kritischen Äußerungen müsse der Behandler in besonne- ner Selbstbehauptung standhal- ten. Sie seien letztlich noch von einer adäquaten Leistungsprü- fung der privaten Krankenversi- cherung gedeckt (OLG München, Urt. v. 15.5.07, 18 U 2251/05). In einem gerichtlichen Ver- fahren kommen Beratungs- ärzte regelmäßig nicht zu Wort. Häufig legen die Ver- sicherer nicht einmal deren Gutachten vor, auf die sie vorprozessual noch ihre Leistungsablehnung ge- stützt hatten. Ein für mehrere pri- vate Krankenversi- cherungen in Süd- deutschland tätiger Kiefer - orthopäde hatte auf eine Gutach- teranfrage des Landgerichtes in Nürnberg-Fürth geantwortet, er kenne das Alignerverfahren we- der in der Theorie noch in der Pra- xis und lehnte die Übernahme des gerichtlichen Gutachterauftrags ab. Für die H.-Versicherung mit Sitz in Stuttgart und die AR.-Ver- sicherung mit Sitz in München verneinte er aber weiterhin die medizinische Notwendigkeit von Alignerbehandlungen. Danach befragt, wie er etwas beurteilen könne, das er gar nicht kenne, antwortete er, „man brauche ja nicht Schaf gewesen zu sein, um Schäfer zu werden“ und in dem- selben Sinne, dass sich ja „der Papst auch zu Fragen der Emp- fängnisverhütung äußere“. Die- ser Beratungsarzt beriet auch das Landesamt für Finanzen in Bay- ern (s. u.). Überwiegend werden heute von den Gerichten Hochschulprofes- soren und Aligneranwender zu Gutachtern bestellt. Regelmäßig besteht ein Anspruch auf eine sol- che sogenannte Binnenbegutach- tung, wenn der zu beurteilende Behandlungsansatz – wie die Alignerbehandlung – Bestand- teil der Schulmedizin ist. Selbst wenn sich der Gutachter auf sei- ner eignen Website plakativ und tendenziös zugunsten der Align er - behandlung ausspricht, begrün- det dies nicht seine Ablehnung wegen der Besorgnis einer Befan- genheit. II. Bindung des Beratungsarztes an das ärztliche Berufsrecht Zumindest den Spezialkammern für privates Krankenver - sicherungsrecht bei den Landgerichten ist be- kannt, dass im Be- reich der Aligner- behandlung be- ratungsarztes mit seiner Berufs- ordnung. Auch als gewerblicher Berater einer Versicherungsgesellschaft unterliegt er als Gutachter den Vorgaben der Berufsordnung. In- dem er seine Kompetenz als Ab- lehnungsgutachter gerade auf seine Zugehörigkeit zu einem verkammerten Beruf stützt, er- klärt er zugleich, dass sein Han- deln mit den Vorgaben des Be- rufsrechts im Einklang stehe. Gerade dies ist aber zu bezwei- feln, wenn sich die deutlich über- wiegende Zahl der Beurteilungen eines Beratungsarztes gegen die medizinische Notwendigkeit ei- ner Behandlung ausspricht und sich sämtliche Ablehnungen, die gerichtlich überprüft werden, als falsch herausstellen. Hier ver- dichten sich dann die Anhalts- punkte, dass die Prüfung nicht objektiv, nicht ergebnisoffen und nicht sachgerecht erfolgt, sondern lediglich der Vorbereitung einer systematischen Leistungsableh- nung dient. Auch Beratungsärz- ten ist es untersagt, ihren Namen in Verbindung mit einer ärztli - chen Berufsbezeichnung in un- lauterer Weise für gewerbliche Zwecke herzugeben (§3 Abs. 2 MBO-Ärzte). Es besteht die Verpflichtung, bei der Ausstellung ärztlicher Gutachten mit ratungsärztliche Gutachten häu- fig nicht ansatzweise belastbar sind. Die Begutachtung durch ei- nen gerichtlichen Sachverstän- digen gelangt in aller Regel zur Feststellung des Gegenteils und es folgt die tarifliche Leistungs- erstattung an den Patienten. Damit ist die Frage aufgeworfen nach der Vereinbarkeit der Fehl- begutachtungspraxis eines Be- der notwendigen Sorgfalt zu verfahren (§25 MBO-Ärzte). Der Zahnarzt hat Gutachten neu- tral, unabhängig und sorgfältig zu erstellen (§ 13 MBO-Zahn- ärzte). Herabsetzende Äußerun- gen über die Person, die Behand- lungsweise oder das berufliche Wissen eines Kollegen sind be- rufsunwürdig (§ 8 MBO-Zahn- ärzte). Wenn in mindestens sechs Be- gutachtungsfällen ein gericht- licher Gutachter eine Behand- lungsplanung als medizinisch notwendig bejaht, die der vor - gerichtlich für die PKV tätige Be- ratungsarzt jeweils verneint hat - te, könnten Berufspflichten ver- letzt worden sein. III. Beihilfe zahlt transparente Invisalign®-Zahnspangen Die Beihilfe ist das Kostenerstat- tungssystem für Beamte, Solda- ten und Richter, für Angestellte des öffentlichen Dienstes und für Angestellte der Rechtsnachfolger Deutsche Post und Telekom. In der Vergangenheit waren Leis- tungsanträge auf Erstattung von Alignerbehandlungen häufig ab- gelehnt worden mit der Begrün- dung, das Verfahren sei nicht ab- gesichert, es sei reine Privatbe- handlung und nicht beihilfefä- hig, es sei kosmetisch und nicht medizinisch motiviert und zu teuer. Hier haben nun gerichtli- che und ministerielle Entschei- dungen für Klarheit gesorgt: In demVerfahren vor demVerwal- tungsgerichtshof (VGH) Baden- Württemberg, Beschl. v. 31.1.2011, 2S 191/11, beanspruchte der bei- hilfeberechtigte Kläger für sei- nen minderjährigen Sohn Leis- tungen der Postbeamtenkranken- kasse für kieferorthopädische Maßnahmen. In dem kieferor- thopädischen Behandlungsplan vom 1.4.2009 wurde ein Gesamt- aufwand errechnet von 3.162,20 € einschließlich Material- und La- borkosten. Darin wurden folgen - de Befunde und Diagnose erho- ben: Anomalie des progenen For- menkreises, Kopfbiss 23, 24, 33, 34, Kreuzbiss 24, 35, Wachstums- muster vertikal, Weisheitszahn- anlage röntgenologisch in allen Quadranten bereits feststellbar. Als Therapie wurde empfohlen: Sicherung der Okklusion mittels Einsatzes der Invisalign®-Tech- nik, Behandlung des Rezidivs, transversale Nachentwicklung im Oberkiefer, Retention des Ist- Zustandes im Unterkiefer, Beseitigung des Kreuzbis- ses, Beseitigung des Kopf- bisses. Die Behandlungsdau - er wurde mit ca. 1 bis 1,5 Jahren prognostiziert. Das Gericht bejahte zunächst die Beihilfefähigkeit von Invisalign®. Die Wirtschaftlichkeit sei gege- ben, wenn durch Sachverständi- gengutachten oder durch die Vor- lage eines fiktiven Behandlungs- planes für Multiband belegt wer - de, dass eine Kostendifferenz zwischen beiden Behandlungs- ansätzen (jeweils einschließlich der Material- und Laborkosten) nicht bestehe. Der Antrag müsse – wie üblich – vor Behandlungs- beginn gestellt werden und solle Fortsetzung auf Seite 14