12 | www.kn-aktuell.de WISSENSCHAFT & PRAXIS Nr. 11 | November 2012 der dunklen bukkalen Korrido- re genannt, die seitlich des Lä- chelns erscheinen – auch eine Art „Black Triangle“ (schwarzes Dreieck).15,20,33,51,71,72 Dennoch gibt es keinen Beweis dafür, dass ei - ne Extraktion der Prämolaren immer engere Bogenformen74,75 oder eine schlechte Ästhetik des Lächelns bewirken.76–81 Unglückli - cherweise schließt die Forschung keine anekdotenhafte Kritik, die auf fantasievollen Beobachtun- gen beruht, aus:48,66–72 „Möchten Sie nicht lieber ein hübsches, brei- tes Lächeln wie Julia Roberts als dunkle Mundwinkel wie Goldie Hawn?“72 Sich auf dieses Niveau herab - zulassen, sprich, Fotos in Mo - demagazinen und der Klatsch- „Der leichtgläubige Mann ist der Vater des Lügners und des Betrügers.“ – W.K. Clifford, The Ethics of Belief, Lectures and Essays Vol. II, 1879 – presse zu untersuchen, kann die - se Annahmen nicht untermau- ern. Interessanterweise scheinen keine der Berühmtheiten, de- nen dunkle bukkale Korridore nachgesagt werden,71,72 tatsäch- lich Extraktionen oder größere dunkle Mundwinkel vorzuwei- sen, wenn man sie mit den so - genannten „perfekten“ Ikonen des Pop vergleicht (Drew Barry- more, Meg Ryan und Goldie Hawn vs. Julia Roberts und Mary Tyler Moore). In Wirklich- keit besitzen die Stars mit dem beliebten breiten Hollywoodlä- cheln (Brad Pitt, Angelina Jolie, Cameron Diaz, George Clooney und vor allem natürlich Julia Roberts) die größten negativen Räume/Lücken.82 Deshalb kann man es bestenfalls als ein dubio- ses Geschäft bezeichnen, wenn fragwürdige Behandlungsme- thoden zurVermeidung der dunk - len bukkalen Korridore emp- Immer das Wichtigste im Blick behalten ... wie Galileo, Kopernikus und Kolumbus ausgelacht hat (soge- nannte „Mavericks“33,68–70), aber tatsächlich haben bestimmt noch mehr Menschen über Bozo den Clown gelacht. Warum sollte man sich auch über solche Sachen wie Forschung und Beweisfüh- rung Gedanken machen, beson - ders, wenn unbequeme Regeln (Wahrheiten?) geschäftsschädi- gend sein könnten? Und wenn die Dinge doch anders laufen, als man es sich ausgedacht hat, sind beleidigte Briefe oder Schmähbriefe an die Redaktion eines Journals64,65,71,72 oder Droh- briefe von Anwälten immer noch günstiger und leichter zu hand- haben als Forschung und Publi- kation. Besser noch, wenn sich be- stimmte Sachen nicht ganz mit unseren eigenen Ansichten de- cken, kann man einfach seine eigene Firma oder seinen ei ge - nen Verband gründen, der wie - derum sein eigenes Firmenjour - nal herausgibt. Vielleicht kann man nicht mehr erwarten, wenn eine Berufung mehr zum Ge- schäft verkommt, als dass sie ei - ne Wissenschaft ist.73 Angle und die anderen Gründerväter ihrer geliebten Orthodontia müssen sich im Grabe herumdrehen. Geschichten von der dunklen Seite Als einen casus belli für teure Behandlungen wird die Besei - tigung des lästigen Problems ANZEIGE Fortsetzung von Seite 11 sig machen,64 denn wenn sich die Wissenschaft in der klinischen Praxis bewährt, muss es ein Zu- fall sein.65 Von der Forschung wird sogar gesagt, dass sie „okay für die abgehobenen Akademiker un ter Euch ist, denn sie gibt Euch Zeit zum Nachdenken“. Es wird zudem gemunkelt, man könne eine klinische Behand- lungsphilosophie einfach nicht auf wissenschaftlicher Litera- tur aufbauen (das wird von ei - nigen behauptet, die von einer internationalen Verschwörung oder einer Art akademischen Mafia überzeugt sind66). Ein Redakteur des Journal of the American Dental Association67 hat diese Bedenken wie folgt be- schrieben: „Damit ein klinischer Experte einen Platz in der Hie- rarchie evidenzbasierter Zahn- medizin hat, müssen sein Wis- sen und seine Erfahrung auf ei- ner Form der Evidenz basieren.“ Es scheint, als würde die EBD (evidence-based dentistry, evi- denzbasierte Zahnmedizin) un- sere Experten mehr beeinflussen, als dass sie sich auf POEMSs (patient-oriented evidence that matters, patientenorientierte Evidenz, die wichtig ist) verlas- sen. Dass wissenschaftliche Be- weise nicht nur eine theoreti- sche Annehmlichkeit sind, mag für einige eine bittere Pille sein. Man kann zwar sagen, dass man früher auch innovative Denker A N Z E I G E www.halbich-lingual.de s t e m c h – e i n f a c h s w w w . h a l b i . Q M S Q u i k M o d u l S y c h ö n e i n f a c s i n k l c h ö n ! c h - q m s . d e fohlen werden („Das sind nicht die Droiden, die ihr sucht“), be- sonders, wenn die Öffentlichkeit diese gar nicht als so besorgnis- erregend wahrnimmt.83 Envoi Obwohl wir keinen universel- len Standard dafür erhoben ha- ben, wodurch sich gerade Zäh ne auszeichnen,84 müssen wir uns folgende Frage stellen: Wenn der Anwender nicht selbst mit - tels der Verlaufsdokumentation, der Evaluierung der Dokumen- tation des Verlaufs im Anschluss an die Behandlung oder eines Fallgutachtens durch Experten1,8 einen Fall beurteilen kann, wie kann der Kieferorthopäde be- stimmen, ob er oder sie konti - nuierlich auch wirklich (mindes- tens) seine oder ihre Interpre - tation gerader Zähne einhält? Wenn wir nie objektiv veran- schlagte Kriterien auswerten,1,6,8 also eine Begutachtung des Be- handlungsergebnisses durch- führen, sind wir einfach nur wie- der an dem Punkt angelangt, als wir Momentaufnahmen zum Be- ginn des jeweiligen Falls und Pa- tientenzufriedenheitsumfragen als Maß für unseren klinischen Erfolg genommen haben, trotz der Möglichkeit, dass gelegent- lich zweifelhafte Behandlungs- methoden angewendet werden könnten.1,8 Sicherlich geht es uns haupt- sächlich darum, stabile und ge- sunde Ergebnisse zu erzielen und, ja, auch einen glücklichen Endnutzer. Und doch gibt es ei - ne weitere ungewöhnliche Di- chotomie dabei: Die Anforde- rungen an die Kieferorthopädie waren nie höher, aber die Mitar- beit der Patienten war selten ge- ringer.85 Folglich hoffen wir da - rauf, dass wir Behandlungsme- thoden finden, die hocheffektiv und effizient sind, während wir versuchen, die Zufriedenheit der Kunden zu sichern. Gelinde ge- sagt, handelt es sich dabei um eine schwierig zu haltende Ba- lance. Ackerman60 mahnte an, dass die Herausforderung für Kieferor- thopäden des 21. Jahrhunderts darin liegt, die angesammelten wissenschaftlichen Beweise in die klinische kieferorthopädi- sche Praxis zu integrieren.86 (Zu- nächst können Sie, liebe Leser, sich ja z. B. mit der Literatur87 zu diesem Artikel befassen.) Ismail und Bader88 haben in diesem Zu- sammenhang empfohlen, dass wir „die Patientenbedürfnisse und -vorlieben bei der Behand- lung mit der bestmöglichen wis- senschaftlichen Beweislage kom- binieren, und dies mit dem klini- schen Fachwissen des Zahnarz- tes verbinden“. Hannapel und Johnston89 haben davor gewarnt, dass der Behand- lungsplan zum Schicksal des Pa- tienten wird und dass Reue de - finiert wird durch den Un ter - schied zwischen dem, was der Patient bekommt, und dem, was er oder sie hätte bekommen kön- nen, gemessen an einer bestmög- lichen Behandlung. Es scheint, als wäre es ein wichtiges Ziel für unsere zukünftigen Unterneh- mungen, die Reue sowohl auf Arzt- als auch auf Patienten- seite zu reduzieren. Konfuzius sagte: „Der edle Mensch hat Tugend im Sinn, der gemeine den materiellen Nutzen.“90 Folg- lich scheint es für den Durch- schnittsbürger ein vernünftiges Ziel zu sein, die Balance zwischen beiden zu finden. Unglücklicher- weise könnte genau das für ei- nige von uns einfach nur einen Schluck bitterer Medizin49 be- deuten. Eine frühere Fassung dieses Ar- tikels erschien im AOJ. Erneut gedruckt mit freundlicher Ge- nehmigung des Australian Or- thodontic Journal, Volume 31(1), May, 2005. Fragen zu diesem Beitrag können direkt an dessen Autor unter drjwyred@aol.com ge- richtet werden. Adresse Dr. S. Jay Bowman 1314 West Milham Avenue Portage, MI 49024 USA drjwyred@aol.com Kurzvita Dr. S. Jay Bowman (cid:129) niedergelassen in Portage/Michigan (cid:129) Adjunct Associate Professor, Saint Louis University (cid:129) Referent von Straightwire-Kursen, University of Michigan (cid:129) Clinical Assistant Professor, Case Western Reserve University (cid:129) Diplomate des American Board of Or- thodontics, Mitglied der Edward Angle Society of Orthodontists, des Ameri- can College of Dentists, der Pierre Fauchard International Honor Society, Gründungsmitglied der World Federa- tion of Orthodontists sowie Führungs- mitglied der American Association of Orthodontists Foundation (cid:129) 2000 Angle Research Award, 2005 Saint Louis University Alumni Award (cid:129) Contributing Editor bzw. Mitglied des Editorial Board diverser Fachjournale wie AJO, JCO oder WJO (cid:129) Autor von über 85 internationalen Arti- keln sowie Buchkapiteln; Co-Autor des Buches „Mini-Implantate in der Kie- ferorthopädie“, Hrsg.: Dr. Björn Ludwig (Quintessenz) (cid:129) Entwickler diverser KFO-Produkte, u.a. Butterfly-Bracketsystem, Horseshoe Jet (Distal Jet), Bowman Consolidator, WYRED cheek retractor, Quick Fix etc.