24 | www.kn-aktuell.de AUS DER PRAXIS Nr. 6 | Juni 2014 Juristische Fallsammlung zur digitalen Kieferorthopädie Ein Beitrag von RA Michael Zach. Teil 3 Echtes orthopädisches Konsil – Fall 7 Dr. Orthos meint den Becken- schiefstand der Patientin auf ei - ne dentale Ursache oder eine Kie - fergelenkerkrankung zurück- führen zu können. Er nimmt eine berührungslose, opto-elektroni- sche Kiefergelenkmessung vor, deren Ergebnis er im Rahmen ei- nes interdisziplinären Austau- sches mit Dr. KFO am Rande ei- nes gemeinsamen Fachkongres- ses bespricht. Zur Erhebung und Auswertung einer Kiefergelenkdiagnostik ist auch der Orthopäde berech- tigt, während therapeutische Maß- nahmen des stomatognathen Sys- tems und entsprechende Planun- gen dem Zahnarzt vorbehalten sind. Da vorliegend unterschied- liche Fachrichtungen beteiligt sind, ist von einem echten Konsil im herkömmlichen Sinne zu spre- chen. Würde der Austausch vorliegend telemedizinisch erfolgen, insbe- sondere durch die digitale Über- mittlung der Messergebnisse, wäre von einer Teleexpertise zu sprechen. Obwohl beide Ärzte der Schweigepflicht unterliegen, ist auch hier eine Schweigepflicht- entbindungserklärung des Pa- tienten erforderlich. Gerade die Therapie der CMD scheint in be- sonderer Weise einen fachgebiets- übergreifenden Austausch zu er- fordern.12 Digitale Werbung über digitale Technik – Fall 8 P. sendet die digitale KFO-Ein- gangsdiagnostik, die ihm zur Vor- lage an die PKV von Dr. KFO nebst Bracket-HKP ausgehändigt wor- den war, an einen Zahnarzt, der auf seiner Website ankündigt, lin- guale Apparaturen aus dem ex- ternen Labor AIX, das im Wege eines virtuellen Set-ups ver- fährt, zu verwenden. Zu einer erneuten Planung kommt es aber nicht mehr, da das Seg- ment Kieferorthopädie in P’s Vertrag gar nicht abgesichert ist. Selbstverständlich ist der Zahn- arzt als Generalist auch berech- tigt, kieferorthopädische Be- handlungen zu planen und auszuführen. Hierzu füh- len sich – gewissermaßen ge - genläufig zum Spezialisierungs- trend – immer mehr Zahnärzte vor dem Hintergrund be rufen, dass Apparaturen von gewerb- lich und zum Teil industriell ar- beitenden Zahnlaboren extern hergestellt und mit entsprechen- dem Kundensupport vertrieben werden. Auch wenn eine KFO-Behandlung dann aus der Hand des Zahnarztes erfolgt, handelt es sich der Sache nach um eine kieferorthopädische Leistung, sodass der Leistungs- ausschluss „Kieferorthopädie“ weiterhin eingreift, auch wenn zahnärztliche Leistungen versi- chert sind. Berufsrechtlich problematisch kann hier allenfalls das werbli- che Auftreten des Zahnarztes auf seiner Website sein: Die sachge- rechte Information über die von einem Zahnarzt verfolgten Be- handlungsansätze ist berufsrecht- lich zulässig und geradezu er- wünscht.13 In diesem Sinne findet sie aber ihre Gren ze dort, wo durch den Zahnarzt primär Fremdwer- bung, z.B. für Herstellerfirmen, betrieben wird. Dies setzt neben der Benennung der Herstellerfir - ma oder deren Produktes vo raus, dass durch die Gestaltung der Website (z.B. pla kative Anprei- sung, wenig Text und großer Slogan, Verwendung des ®-Zei- chens, Übernahme des Hersteller- Logos) der Eindruck entsteht, es werde nicht vorrangig über den zahnärztlichen Behandlungsan- satz informiert, sondern primär der Absatz eines Medizinpro- duktes eines konkreten Her- stellers bezweckt.14 Letzteres dürfte umso eher zu verneinen sein, wenn auch und zwar gleichwertig auf ande re Be- handlungsansätze (gegebenen- falls unter Benennung der hierfür vorgesehenen Medizinprodukte) hingewiesen wird und eben nicht der Eindruck erweckt wird, der Zahnarzt habe sich – gewisser- maßen befundunabhängig – ei- ner bestimmten Therapieoption oder einem konkretem Hersteller verschrieben. Die Berufsrechtswidrigkeit ist dabei umso eher zu verneinen, je weniger die Benennung des Her- stellers oder des Produktes der Her- beiführung eines Erstkontaktes mit dem Patienten dient (sog. Me- gatags bei Suchmaschinenwer- bung) als der sachgerechten In- formation des bestehenden Pa- tientengutes (z.B. durch die Ein- richtung und Freischaltung eines Patientenbereiches auf der Web- site mit Log-in-Erfordernis). Bei einer Zahnklinik ist der Hin- weis auf gut erreichbare Hotels als zulässig angesehen worden15, und auch die Benennung des ex- ternen zahntechnischen Labors ist wegen des unmittelbaren Be- zuges zur zahnärztlichen Tätig- keit in der Regel zulässig.16 Dass dem Zahnarzt im Gegenteil auch die Benennung des vorgesehe- nen Behandlungsgerätes gestat- tet sein muss, wird schon daran ersichtlich, dass er verpflichtet ist, dem Behandlungsplan einen Kostenvoranschlag der Herstel- lerfirma beizufügen, sofern ein Material- und Laborkostenauf- wand von 1.000 Euro überschrit- ten ist (§9 GOZ ). Der verständige Patient wird heute auch die Ver- linkung auf eine Hersteller-Web- site nicht mehr als Gefährdung der sachgerechten Information durch den Zahnarzt werten, sondern als Eröffnung ei- nes erleichterten Zugangs zu vertiefender Infor- mation eines erkennbar gewerbliche Interessen verfolgenden Dritten. Die Gefahr einer suggestiven Beeinflussung des Patien- ten durch eine entsprechen - de Produktbenennung und Ver- linkung wird als gering einge- stuft17, sofern die Website des Zahnarztes insgesamt sachlich, angemessen und informativ ist. Unzulässige Fernbehandlung im Internet – Fall 9 Dr. KFO erteilt auf der von X be- triebenen Website www.zahn- arzt-gesundheitsberatung.de un- entgeltliche Auskünfte zu den dort abgelegten anonymisierten digitalisierten Befundunterlagen des Patienten P. Die Auskünfte auch anderer Zahnärzte hierzu waren für jedermann einsehbar und mit dem Hinweis verbunden, dass die erteilten Auskünfte der Experten kein persönliches zahn- ärztliches Beratungsgespräch oder eine Behandlung ersetzen. Bei der Diagnosestellung und The- rapieempfehlung handelt es sich vorliegend um eine Ausübung der zahnärztlichen Heilkunde in Ge- stalt einer Fernbehandlung, da kei nerlei persönlicher Arzt-Pa- tienten-Kontakt erfolgt. Wesent- licher Aspekt der Fernbehand- lung ist dabei, dass sich der Be- handelnde konkret und indivi - du ell zur konkreten Person des Patienten äußert und diese Äu- ßerung nicht auf einer eigenen Wahrnehmung des Arztes be- ruht. Der Rat des Dr. KFO er- folgte auch nicht konsi- liarisch, sondern stell - te eine berufsrechtlich unzulässige sogenann - te ausschließliche Fern- behandlung dar, wozu bekanntlich nicht erst die Behandlungsdurchführung gehört, sondern bereits die Be- fundbeurteilung und die Thera- pieempfehlung. Durch die bloße Mitteilung seiner fachlichen Ein- schätzung bei „Sie fragen, Exper- ten antworten“ hat er ferner für die von ihm vorgenommene ärzt- liche Fernbehandlung Werbung gemacht, was gem. §9 HWG un- zulässig ist.18 Der Disclaimer än- dert hieran ebenso wenig wie der Umstand, dass die Patientenda- ten anonymisiert worden waren. Auch der Betreiber einer solchen Website verstößt gegen diese Be- stimmung.19 Digitale Röntgenbilder und Modelle: noch ausreichend oder viel besser? – Fall 10 Dr. KFO wird von der KZV Nord - rhein gebeten, zum Prüfgespräch die Röntgenbilder und Modelle mitzubringen. Im Termin wird die digitale Ausführung der vorge- legten Befundunterlagen bean- standet und gerügt, dass Pos. Ä 935d BEMA-Z/2013 zu Unrecht abgerechnet worden sei, da auf den betrachteten digitalen Auf- nahmen die Kiefergelenke beid- seits nicht abgebildet seien. Der Zahnarzt hat die erforderli - chen Befunde nach den Regeln des fachlichen Standards zu er- heben, auszuwerten, zu dokumen- tieren und zu archivieren. Wel- cher Methoden er sich hierzu be- dient, ist ihm überlassen, sofern er hierbei keine vermeidbaren Nachteile für den Patienten ein- geht, die letztlich zu einer Sen- kung der Aussagekraft und Ver- wertbarkeit im Vergleich zur alter- nativen, herkömmlichen Methode führen könnten. Heute bevorzu- gen viele Gerichtsgutachter die Bildschirmbetrachtung digital gespeicherter bildgebender Be- funde, weil sie dies für aussage- kräftiger und genauer halten als die Betrachtung herkömmlicher Röntgenbilder. Es ist auch kein gerichtliches Verfahren bekannt, in dem einmal ein Gerichtsgut- achter digitale Modelle für nicht auswertbar oder von minderer Qualität gehalten hätte. Unbestritten sind in beiden Fäl- len auch die Vorteile in der Ar- chivierbarkeit und Verkehrsfä- higkeit im Sinne der Befundsiche- rungspflicht auch zu therapeuti- schen Zwecken. Ferner sprechen der Fortfall des Verlustrisikos und die beliebige Duplizipier- barkeit wie auch die Möglichkeit zur simultanen Vorlage an Bera- tungsärzte mehrerer Kostenträ- ger und im Rahmen von Telekon- silen für eine vollständige Gleich- stellung. Es ist nicht erkennbar, warum im Rahmen eines KZV-Prüfge- sprächs andere, womöglich so- gar strengere Anforderungen an die Befundunterlagen zu stellen sein sollten, als in einem Verfah- ren vor einem staatlichen Gericht. Die Leistungslegende der Posi- tion Ä 935d lautet: Orthopanto- mogramm- sowie Panoramaauf- nahmen oder Halbseitenaufnah- men aller Zähne des Ober- und Unterkiefers. Hier hatte der Prü- fer schlicht übersehen, dass auch die digitale Panoramaaufnahme abrechenbar ist, die – anders als das OPG – eben nicht die Abbil- dung der Kiefergelenke erfordert und wegen geringerer Strahlen- exposition vorzugswürdig sein kann. Entgegen der Annahme des KZV-Ausschusses beruhte weder die fehlende Abbildung der Kiefergelenke auf einer sys- tematisch fehlerhaften Einstel- lung des Gerätes noch lag inso- weit eine seriell falsche Abrech- nung vor.20 Literatur Kurzvita RA Michael Zach [Autoreninfo] Adresse Kanzlei für Medizinrecht Rechtsanwalt Michael Zach Volksgartenstraße 222a 41065 Mönchengladbach Tel.: 02161 68874-10 Fax: 02161 68874-11 info@rechtsanwalt-zach.de www.rechtsanwalt-zach.de