10 | www.kn-aktuell.de WISSENSCHAFT & PRAXIS Nr. 1/2 | Jan./Feb. 2015 Okklusion, Funktion und Ästhetik Fortsetzung von Seite 1 der die Notwendigkeit der Be- handlung sowie ihre Erfolgsprog- nosen zu bewerten sind. Okklu- sion, Funktion und Ästhetik wer- den in der modernen Kieferortho- pädie, und hier speziell in der kombiniert kieferorthopädisch- kieferchirurgischen Behandlung, als gleichwertige Parameter be- trachtet. Die Ziele einer kieferorthopädi- schen bzw. kombiniert kieferor- thopädisch-kieferchirurgischen Behandlung sind: 1. die Herstellung einer neutralen, stabilen und funktionellen Ok- klusion bei physiologischer Kondylenposition 2. die Optimierung der Gesichts - ästhetik 3. die Optimierung der dentalen Ästhetik unter Berücksichti- gung der Parodontalverhält- nisse 4. die Sicherung der Stabilität des erreichten Ergebnisses 5. Erfüllung der Erwartungen bzw. Zufriedenheit des Patienten. gnathie sind bei manchen Fällen fraglich und stellen in aller Regel einen Kompromiss in ästheti- scher und/oder funktioneller Hin- sicht dar, der auch hinsichtlich der Stabilität fraglich ist. Zur Abklärung der Frage, welche Möglichkeiten zur Therapie der skelettalen Dysgnathien infrage kommen, muss das verbliebene Wachstum des Patienten bestimmt werden.8 Eine Therapieform, die beim Heranwachsenden als kau- sale Therapie erachtet wird, ist die funktionskieferorthopädische Be- handlung, mit der das Wachstum beeinflusst werden kann.2,5,12,13,16–20,22 Ist kein Wachstum therapeutisch verfügbar, verbleibt als kausale Therapieform die orthognathe Chirurgie, mit der die Lagendis- krepanz zwischen den beiden Kiefern in den drei Dimensionen korrigiert werden kann. In diesem Artikel wird die Mög- lichkeit der kausalen Therapie ei- ner skelettalen Dysgnathie durch eine kombiniert kieferorthopä- disch-kieferchirurgische Korrek- tur abgehandelt. Abb. 2: Simulation der chirurgischen Impaktion der Maxilla in unterschiedlichen Maßen. Je mehr die Maxilla nach kranial impaktiert wird, umso größer ist die Reaktion der Mandibula im Sinne einer Autorotation nach kranial und gleichzeitig nach ventral. Es ist wohl allgemein bekannt, dass bei dentoalveolären Behand- lungsmaßnahmen die Behand- lungsziele, die als das individuell funktionelle und ästhetische Op- timum für den zu behandelnden Patienten zu sehen sind, mit den heutigen modernen Behandlungs- methoden vielfach erreicht wer- den können. Während Dysgna- thien geringen Umfangs durch rein dentoalveoläre Maßnahmen ausgeglichen werden können, stellt sich vor allem bei ausge- prägten sagittalen Diskrepanzen, wie z.B. bei Klasse III-Dysgna- thien, die Frage, mithilfe welcher Ansätze diese erfolgreich behan- delt werden können. Ist die Kiefer - relation korrekt und handelt es sich um eine rein dentoalveoläre Dysgnathie, kann diese durch den- tale Bewegungen korrigiert wer- den. Allerdings sind diese denta- len Bewegungen nur bis zu einem bestimmten Grad möglich und sind somit limitiert. Eine Korrek- tur bzw. stabile dentale Kom- pensation einer skelettalen Dys- Die kieferorthopädisch- kieferchirurgische Therapie Indikation für die kombinierte kieferorthopädisch-kiefer - chirurgische Behandlung Kombiniert kieferorthopädisch- kieferchirurgische Eingriffe sind häufig Wahleingriffe und unter- liegen trotz des weitentwickelten Behandlungsablaufes und der geringen Risikogefahr einer sehr strengen Indikationsstellung. Als Indikation sind anzusehen: (cid:129) funktionelle Störungen (cid:129) deutlich beeinträchtigte dento- faziale Ästhetik (cid:129) Kiefergelenkprobleme (cid:129) parodontale Destruktionen (cid:129) prothetische Versorgung nicht adäquat möglich (cid:129) totale Rehabilitation, wie z.B. bei Lippen-Kiefer-Gaumen-Spalt- Patienten. Die logische Antwort auf die Fra ge: „Welcher erwachsener Patient ist ein Kandidat für eine kombinierte kieferorthopädisch-kieferchirur- a b c Abb. 3a–c: Eine Impaktion im posterioren Bereich: die Spina naslis anterior ist das Rotationszentrum der Impaktion (a). Eine Impaktion der Maxilla: das Zentrum der Ma- xilla ist das Rotationszentrum der Impaktion (b). Je stärker die Impaktion im posterioren Bereich – die Spina naslis anterior ist das Rotationszentrum der Impaktion –, umso steiler werden die Frontzähne (c). gische Behandlung?“ ist demnach: Wenn bei ihm ein gravierendes skelettales oder schwerwiegen- des dentoalveoläres Problem vor- liegt, das mit alleinigen orthodon- tischen Maßnahmen nicht zu kor- rigieren ist. Weitere Fragen, die sich in diesem Zusammenhang folglich aufwerfen: „Wie soll der Fall behandelt werden, damit die angestrebten Ziele möglichst op- timal erreicht werden?“ Um diese Fragen beantworten zu können, ist neben ausführlichen Befundunterlagen (klinische Un - tersuchung, Funktionsdiagnostik, Röntgenaufnahmen, intra- und extraorale Fotos, Modelle) eine gründliche Anamnese erforder- lich, durch die u.a. das Anliegen und die Motivation des Patienten für die Behandlung ermittelt wer- den müssen. Der Erfolg einer kombinierten kieferorthopädisch-kieferchirur- gischen Behandlung ist nämlich nicht nur von der optimalen Zahn- stellung und der korrekten Kiefer - position abhängig, sondern auch von der Motivation, den Erwar- tungen und der Zufriedenheit des betreffenden Patienten. Über die Behandlungsmotivation kieferorthopädischer Patienten wurden unzählige Befragungen durchgeführt, wobei das Alter, das Geschlecht oder der Bildungs- stand Variablen der Bewertung waren. Die Untersuchungen von Flanary7 Jacobson9 und Kiyak10, bezüglich Motiv, Erwartung und Zufriedenheit wiesen darauf hin, dass sich 79% bis 89% der Pa- tienten1 3, die sich einer kombi- nierten kieferorthopädisch-kie- ferchirurgischen Behandlung un - terziehen, dies nicht nur aus funk- tionellen, sondern vor allem aus ästhetischen Gründen tun, wobei die Gewichtung für den einzelnen z. B. in Abhängigkeit der extra - oralen Ausprägung der Dysgna- thie unterschiedlich ausfällt. Zusätzlich hat Kijak10 bei seinen Untersuchungen festgestellt, dass mehr Frauen als Männer ihren Wunsch zur Verbesserung der fa- zialen Ästhetik geäußert haben. Scott et al.15 haben in ihrer Studie – Befragung nach Behandlungs- motiven und -erwartung prä- und postoperativ – festgestellt, dass Patienten postoperativ über Be- handlungsmotive berichteten, die präoperativ nicht als wichtig ein- gestuft bzw. gar nicht erwähnt wur- den und vorwiegend aus dem Be- reich der Ästhetik kamen.4,6,11,18,20,21 Entsprechend muss sich der Kie- ferorthopäde an einem Behand- lungsziel orientieren, das sowohl ästhetische als auch funktionelle Belange für den Einzelnen ma- ximal erfüllt, da z. B. eine rein okklusionsorientierte Therapie nicht unbedingt mit einem fazial- ästhetisch befriedigenden Ergeb- nis verbunden sein muss. Maxilla-Impaktion und Mandibula-Autorotation Über die unterschiedlichen chi - rurgischen Techniken am Ober- kiefer sowie über die Stabilität des Ergebnisses nach einer Ober- kieferimpaktion (Kranialverla- gerung der Maxilla) wurde in der Literatur mehrmals berichtet. Was bei der Kranialverlagerung der Maxilla mit der Mandibula ge- schieht, wurde bis dato in nur wenigen Artikeln veröffentlicht. Das Maß und die Art der chirur- gischen Maxilla-Impaktion und deren Folge auf die skelettalen, dentalen Strukturen und auf die dentofaziale Ästhetik erfordern eine genaue Planung – nicht nur auf skelettaler, sondern auch auf dentaler Ebene. Das Ziel der kie- ferorthopädischen Vorbereitung ist es u.a., die dentale Situation auf die postoperativ skelettale Si- tuation unter besonderer Berück- sichtigung der dentofazialen Äs- thetik zu korrigieren und abzu- stimmen. Deshalb ist es wichtig, vorher die Behandlungsziele fest- zulegen und die Art und das Aus- maß des chirurgischen Eingrif- fes möglichst genau zu erfahren. Für eine erfolgsreiche kieferortho- pädisch-kieferchirurgische Pla- nung sowie Behandlung ist die Beantwortung der folgenden Fra- gen bei einer Oberkiefer-Impak- tion wichtig: Abb. 5a Abb. 4a Abb. 5d Abb. 5b Abb. 4b Abb. 5c Abb. 5e Abb. 4a, b: Die Fotostataufnahme zeigt die Symptome der Klasse III-Dysgnathie, deutliche Unterkieferabweichung von der Körpermitte nach rechts und erschwerter Lippenschluss. – Abb. 5a–e: Intraorale Aufnahmen vor Behandlungsbeginn.