00 | www.pn-aktuell.de WISSENSCHAFT & PRAXIS Nr. 4 | August 2010 Fit ab 50 … Ernährung und Zahngesundheit als Komplizen Dass das körperliche Wohlergehen, insbesondere auch im Bereich der Mundhöhle, ein Wechselspiel vieler Faktoren darstellt, ist mittlerweile kein Geheimnis mehr. Dennoch bleibt noch ein großer Teil an Patienten, die über die Bedeutung der Ernährung für die orale Gesundheit – besonders im höheren Alter – zu wenig informiert sind. 50 Jahre – die meisten feiern diesen Geburtstag (noch) in guter Verfassung. Es ist je- doch auch festzustellen, dass der individuelle Gesundheits- zustand in diesem Alter be- reits erheblich voneinander abweichen kann. Neben den sportlich fitten, gesunden Leistungsfähigen gibt es die- jenigen, die nicht ohne mor- gendlichen Medikamenten- „Cocktail“ in den Tag starten. Mit 50 hat man noch Träume von einem angenehmen lan- gen Leben. Um den verblei- benden Lebensjahren auch mehr „Leben“ geben zu kön- nen, leistungsfähig zu blei- ben, lohnt ein Blick in die „Anleitung“ zum körper- lichen, geistigen und seeli- schen Wohlbefinden. Eine ausgewogene präventive Er- nährung gehört dazu, ebenso wie das Essen mit den eige- nen Zähnen – weil’s besser schmeckt. Zahnpräventive Aspekte der Ernährung ab 50 Dem Zahnarzt und auch des- sen Assistenz obliegt neben den alltäglich durchzufüh- renden Kontrollen und Be- handlungen auch die Auf- gabe der ganzheitlichen Be- ratung. Nicht nur der Hinweis auf eine geregelte Mund- pflege, sondern auch das Auf- zeigen von Zusammenhän- gen zwischen Zahngesund- heit und Ernährung sollten besonders bei der Generation 50+ nicht vergessen werden. Die Assoziation zwischen den Veränderungen, die sich mit dem steigenden Alter im Körper ergeben und deren Einflüsse auf die Entstehung und Verstärkung von Paro- dontitis etc. sind nicht jedem Patienten gleichermaßen klar. Im Folgenden sollen die we- sentlichen Aspekte erläutert werden und als möglicher Leitfaden für eine Beratung in der Praxis dienen. Veränderungen in der Energie- und Nährstoffzufuhr mit zunehmendem Alter Mit zunehmendem Alter geht es weniger um Wachs- tum als (bestenfalls) um den Erhalt des Körpers. Oft ver- ändert sich der Lebensstil, der Mensch wird geruhsamer. Der tägliche Energiebedarf sinkt im Laufe des Lebens. Al- lein der Grundumsatz verrin- gert sich in der Altersspanne von 15 bis 65 Jahre um 300 bis 400kcal pro Tag – das ent- spricht dem Energiegehalt einer kleinen Mahlzeit. Nur mit täglicher Bewegung kann man dem Verlust an Muskel- masse bis zu einem gewissen Grad gegensteuern. Gleich- zeitig hält man mit Bewegung den Knochenabbau in Gren- zen und das Körpergewicht im Griff. Während der Energiebedarf im Laufe der Lebensjahre geringer wird, bleibt der Be- darf an Nährstoffen wie Ei- weiß, ungesättigten Fettsäu- ren, Vitaminen, Mineralien gleich – er kann sogar im höheren Alter steigen. Opera- tionen, Medikamente, indi- viduelle Gebrechen (z.B. er- höhtes Osteoporoserisiko), chronische Erkrankungen (z.B. Asthma, Diabetes melli- tus), ungünstiger werdende Resorptionskapazitäten kön- nen den Bedarf für Aus- gleichs- und Reparaturleis- tungen des Organismus erhö- hen und den Nährstoffbedarf zusätzlich erhöhen. Diabetes mellitus hat erwiesenerma- ßen einen Einfluss auf die Zahngesundheit und so sollte die Möglichkeit zur Einfluss- nahme entsprechend genutzt werden. Ist dem behandeln- den Zahnarzt die Erkrankung eines Patienten bekannt, wäre eine entsprechende Be- ratung sinnvoll. Zwischenfazit: Die notwendi- gen Nährstoffe müssen mit ei- ner kleineren, aber sehr hoch- wertigen Menge an Lebens- mitteln abgedeckt werden – die Anforderungen an eine adäquate Ernährung steigen! Gezielte Auswahl von Le- bensmitteln mit einer hohen Nährstoffdichte, d.h. wenig Kalorien, reich an Inhalts- stoffen – so lautet die Auf- forderung. Die Patienten soll- ten möglichst unverarbeitete bzw. wenig verarbeitete Le- bensmittel bevorzugen. Helle Brotsorten, Konserven, Ku- chen, Würstchen sind relativ tes Segment – ernährungs- physiologisch ungünstige Le- bensmittel ein. Leicht ver- ständlich und selbstredend erklärt sich die Pyramide: sechs Ebenen mit sieben we- sentlichen Lebensmittelgrup- pen. Die Breite der sechs Ebenen symbolisiert die Ge- wichtung der Lebensmittel – verstärkend wirken die Am- pelfarben im Hintergrund. Vereinfacht bedeutet das: Grün = reichlich: pflanzliche Lebensmittel und Getränke an der Basis der Pyramide, Gelb = mäßig: tierische Le- bensmittel, Rot = sparsam: fettreiche Lebensmittel und „Extras“. Durch die Berücksichtigung von sogenannten Extras im obersten Segment wird die Darstellung realitätsnah. Er- gänzend zur aid-Ernährungs- pyramide zeigt die Tabelle für einzelne Lebensmittelgrup- pen Beispiele zu bevorzugen- der Lebensmittel. Portionenmodell der aid-Ernährungspyramide Die Veranschaulichung von Verzehrmengen in Form von Portionen erleichtert den Vergleich mit der eigenen Er- nährung. Das Maß bildet die Die aid-Ernährungspyramide. Lebensmittelgruppe Beispiele Getränke, Flüssigkeit Trinkwasser, grüner Tee Gemüse Obst Getreide Tierische Lebensmittel Kohlgemüse; rote, grüne, gelbe Ge- müsesorten; Zwiebelgewächse heimische, saisongerechte Obstsor- ten, Äpfel, Beerenobst Vollkornprodukte, -brot, -flocken z.B. Haferflocken Milch, (probiotischer) Joghurt, Fett- fische Öl, Samen, Kerne Rapsöl, Leinöl, Walnuss, Sojakerne Beispielhafte Aufzählung von Lebensmitteln mit präventivem Potenzial. Als Basis dienen die Lebensmittel- gruppen der aid-Ernährungs pyramide. – reich an Energie, aber arm an wichtigen Inhaltsstoffen. Die Vorteile einer präventiven Kost sind umso größer, je früher man damit anfängt: die (oralpräventive) Alters- vorsorge beginnt am ersten letztendlich Lebenstag schon in der Schwanger- schaft! Die Lebensmittelpy- ramide des aid zeigt auf einfa- che Art das „kleine 1x1“ der gesunden Ernährung.2 Die aid-Pyramide (siehe Abb.) visualisiert eine ausgewo- gene Ernährung im Alltag, d.h. sie bezieht – siehe obers - eigene Hand! So werden klare Vorgaben bezüglich der auf- zunehmenden Lebensmittel- mengen präsentiert. Sechs Ebenen in Form einer Treppenpyramide, 22 Käst- chen/Portionen, die Signal- farben grün-gelb-rot – senden eine, angesichts von 60.000 bis 80.000 Lebensmitteln in einem Supermarkt, über- schaubare, didaktisch an- sprechende und erfassbare Botschaft. Im Zeitalter von XXL-Portionen, Familienpa- ckungen, Kübel/Eimer-Abpa- ckungen und zunehmendem Übergewicht in der Bevölke- rung scheint vielen das Au- genmaß verloren gegangen zu sein. Aus diesem Grunde ist ein simpler Ansatz be- grüßenswert. Die Hand ist Messhilfe! Sie ist individuell, wächst mit und ist bei Män- nern größer als bei Frauen. Besonderheiten in der Ernährung ab 50 Die Altersspanne 50 bis 70 Jahre geht – wie oben be- schrieben – einher mit vielen Veränderungen. Es ist die Zeit, in der vorhergegangener Raubbau an seinem Körper sich rächt. Häufig schleichen sich in dieser Zeit die ersten Altersgebrechen ein. Es be- steht aber auch immer noch die Chance gegenzusteuern. Nährstoffe mit positiver, präventiver Wirkung auf den menschlichen Körper Einige Vitamine erfüllen im Alter eine besonders wichti- ge vorbeugende Funktion. Hervorzuheben sind Folsäure (korrekt: Folat), Vitamin D und Omega-3-Fettsäuren. Eine gute Folatversorgung ist notwendig für einen rei- bungslosen Abbau von Homo- cystein, einer Aminosäure, die in der Lage ist, Gefäß- wände zu schädigen. Gute Folat-Lieferanten sind: Eier, Fleisch, Leber, Tomaten, Spi- nat, Gurken, Kohlgemüse, Vollkornbrot und – wenn Salz – dann mit Jod, Fluorid und Folsäure angereichertes Koch- salz. Vitamin D gehört zu den wichtigen Kalzium- und Kno- chenstoffwechsel-regulie- renden Vitaminen. Bei regel- mäßigem Aufenthalt im Freien ist der menschliche Or- ganismus in der Lage, unter Einwirkung des Sonnenlich- tes (UVB-Strahlung) auf die Haut, Vitamin D aufzubauen. Bei ungünstigen Lebensum- ständen (Bettlägrigkeit, we- nig Aufenthalt im Freien, stark verhüllende Kleidung) und im Alter ab dem 65. Le- bensjahr ist die körpereigene Synthese eingeschränkt und eventuell unzureichend.3 Ins- besondere in den Wintermo- naten werden niedrigere Vita- min-D-Spiegel gemessen als im Sommer. Die wenigen guten natürlichen Vitamin D-Quellen sind im Winter und mit fortschreiten- dem Alter besonders wichtig: fettreiche Fische (z.B. Hering und Makrele), Eigelb, Leber, Milchfett sowie Vitamin D- angereicherte Margarine. Sie dürfen im täglichen bzw. wö- chentlichen Speiseplan nicht fehlen. Zu einem Osteoporose-prä- ventiven Lebensstil gehören neben der optimalen Vitamin D-Zufuhr eine ausreichende Versorgung mit Kalzium (1.000 bis 1.200mg/Tag), mit Vitamin K, B 12 und Vitamin C sowie Bewegung, denn: Be- wegung „ernährt“ den Kno- chen! Auch hier zeigt sich wieder das Wechselspiel zwi- schen ganzheitlichen kör- perlichen Wohlergehen, Er- nährung und der Mundge- sundheit. Eine bestehende Osteoporose kann neben Ver- änderungen in den langen Röhrenknochen der Beine und den Hüftgelenken auch auf den Gesichtsschädel Ein- fluss nehmen und das Paro- dont betreffen. Chronische Entzündungen (wie z.B. auch chronische Zahnwurzel- und Zahnbet- tentzündungen) werden von Experten als eine zentrale Herausforderung für die Me- dizin des 21. Jahrhunderts betrachtet. Nahrungsinhalts- stoffe mit antiinflammato- rischer Wirkung sind von hohem Interesse, zu ihnen ge- hören z.B. sekundäre Pflan- zenstoffe und Omega-3-Fett- säuren. Epidemiologische Studien zeigen, dass bestimmte Er- nährungsmuster mit günsti- gen Einflüssen auf entzündli- che und immunologische Pro- zesse einhergehen. Eine Kost mit relativ wenig gesättigten Fettsäuren und Transfettsäu- ren, einem hohen Anteil an pflanzlichen Lebensmitteln (Gemüse, Obst, Vollkornpro- dukte) und einem hohen Omega-3-Fettsäuregehalt zeigt eine günstige immun- modulatorische Wirkung auf Entzündungsparameter.6,9 Die Ernährungspyramide ist die Anleitung zur richtigen Umsetzung in einen präventi- ven Ernährungsalltag. Entzündlich-rheumatische Erkrankungen sind darüber hinaus – wie die Forschung des letzten Jahrzehnts ge- zeigt hat – diätetisch zu be- einflussen über eine Verrin- gerung der Arachidonsäure- zufuhr und eine vermehrte Verwendung von Omega-3- reichen Pflanzenölen (z.B. Leinöl, Rapsöl) und fettrei- chen Fischen.1 Eine Stoffgruppe, die in den letzten 15 Jahren in den Blick gerückt ist, sind die probioti- schen Bakterien. Eine zuneh- mende Zahl von Indikationen belegt die vielseitige positive Wirkung, z.B. bei Erkrankun- gen des Darmtraktes, Immun- system-vermittelnde Effekte bei Neurodermitis.10 Ein mög- licherweise präventiver Ef- fekt in der Mundhöhle wird diskutiert.5 Lebensmittelinhaltsstoffe mit ungünstiger gesundheit- licher Wirkung Neben der allgemein bekann- ten Risikoformel „zu viel, zu fett, zu süß, zu salzig“ gibt es Inhaltsstoffe, die separat betrachtet werden sollten. Aus der Rheumatologie ist die Arachidonsäure als pro-in- flammatorische Substanz be- kannt. Für Betroffene und Gefährdete bedeutet dies, Fleisch, Fleischprodukte und Eigelb zu begrenzen (zwei kleine Fleischmahlzeiten und zwei Eigelb pro Woche); Fisch – insbesondere Hering –, fett- arme Milch und Milchpro- dukte (entsprechend 1/2 Liter pro Tag) zu bevorzugen. Lein- samenöl, Walnuss(öl), Wei- zenkeimöl oder Rapsöl sind reich an alpha-Linolensäure und als antiinflammatorisch wirksam empfehlen.1 Süße Getränke – allen voran Cola-Getränke – stehen zu- nehmend in Verdacht, eine Rolle bei der Entstehung ko- ronarer Herzerkrankungen zu spielen. Dabei kristallisiert sich Fructose als unabhängi- zu ger Risikofaktor heraus. Der Konsum von zwei und mehr zuckerhaltigen Getränken pro Tag erhöht das KHK-Risiko um 35%.4 Die Ursache liegt in der verstärkenden Wir- kung von Fructose auf die hepatische Triglyceridsyn- these, die wiederum mit ei- nem erhöhten KHK-Risiko verbunden ist. Hier treffen sich oralprophyl- aktische Aspekte mit Herz- Kreislauf-präventiven: Die Zucker- hier: Fructose-Auf- nahme schadet den Zähnen und dem Herzen. Eine beacht- liche Quelle der Fructosezu- fuhr sind Limonaden, Sport- und Fitnessgetränke und ähn- liche. Zusammenfassung Gemüse und Obst, ballast- stoffreiche Vollkornprodukte, Milch und Sauermilchpro- dukte, Samen und Nüsse, grü- ner Tee enthalten antioxida- tive und entzündungshem- mende Bestandteile, sind kauintensiv, fördern den Speichelfluss, schützen vor Mundgeruch, fördern die Mundgesundheit, helfen das natürliche Gebiss vor Karies, Parodontitis und sonstigen Schäden zu bewahren. Das Motto „eine gesunde Er- nährung für ein gesundes Ge- biss – ein gesundes Gebiss für eine gesunde Ernährung“ besagt nicht zuletzt, dass die Nahrungsaufnahme mit den eigenen gesunden Zähnen den Essgenuss maximiert. Essen und Trinken gehören zu den wesentlichen Fakto- ren, die Lebensqualität aus- machen. Mit zunehmendem Alter stellen Mahlzeiten oft die „Highlights“ des Tages dar. Essen und Trinken befrie- digen das Genussbedürfnis mehrmals täglich. Das heißt, Speisen sollten primär gut schmecken und zudem ge- sund und verträglich sein. Genuss ist die Quelle von Lebensfreude, Vitalität, Wohl- befinden und Kreativität. Prof. K.-H. Bässler, Mainz, hätte die Bedeutung und die Kunst des Genießens nicht treffender beschreiben kön- nen: „Durch die Genussfä- higkeit unterscheidet sich der Mensch vom Tier. Leben kann man auch ohne Zucker, ohne Alkohol, ohne Kaffee, Tee und Tabak. Aber zum Leben gehört Genuss. Und Genuss ist die Wiege von Kul- tur, Kunst und alles was menschliches Leben ange- nehm macht. Die Kunst des Lebens besteht darin, die Ge- nüsse vernünftig in Maßen so in die Gesamt„diät“ einzu- bauen, dass sie der Gesund- heit nicht schadet.“ Das be- zieht die Zahngesundheit un- eingeschränkt ein. Eine Literaturliste steht ab sofort unter www.zwp-online.info/fachgebiete/ dentalhygiene zum Download bereit. Adresse Dr. Gerta van Oost Meerbuscher Str. 45a 41540 Dormagen www.ernaehrung-vanoost.de