Nr. 5 | Oktober 2010 PRAXISMANAGEMENT | 17 Zugang zum Patienten finden – Das Einwand freie Patientengespräch Das ist erstaunlich: Die Parodontologin empfiehlt eine Sofortimplantation im Frontzahnbereich. Doch der Patient wehrt sich „mit Händen und Füßen“ dagegen. Medizinische Gründe, die Implantation abzulehnen, liegen nicht vor, und die Krankenkasse würde die Kosten tragen. Die Parodontologin vermutet: Dem Patienten geht es wohl vor allem darum, ihr – der Ärztin – Paroli zu bieten. „Die Implantation ist doch vollkommen überflüssig und zu teuer, Frau Doktor!“ Wenn sich Patienten gegen ärztli- che Hinweise zur Wehr setzen und Einwände erheben, hat dies oft damit zu tun, dass sich das Arzt-Patienten-Gespräch in Richtung eines Macht- kampfes entwickelt. Der Patient sieht sich vom – aufgrund seiner Fach- kompetenz – überlege- nen Arzt unter Druck ge- setzt und greift zur Ver- teidigungsstrategie „Ein- wände formulieren“. Dafür kann es auch an- dere Gründe geben – in unserem Beispiel etwa will sich der Patient viel- leicht nichts von einer weiblichen Kompetenz- person vorschreiben las- sen. Psychologischer Hintergrund: menschliches Profilierungsstreben Menschen sind emotionale Wesen. Sie streben in der Be- gegnung mit anderen Men- schen nach Sicherheit be- züglich ihres Status im Ver- hältnis zum Gegenüber – das gilt auch im Gespräch mit dem Parodontologen. Wer nun einwendet, für viele Men- schen sei der Arzt doch eine Autoritätsperson, der man nicht zu widersprechen habe, sollte sich bewusst machen: Es gibt verschiedene Patien- tentypen: (cid:129) Da ist der dominante Pa- tient, ausgestattet mit einem kräftigen Selbstbewusst- sein, dem es in so gut wie je- der Lebenssituation schwer- fällt, eine andere Meinung anzuerkennen. (cid:129) Zudem gibt es den „medizi- nischen Experten“, der sich als mündiger Patient genau über die möglichen Behand- lungsarten informiert hat und nun in eine Diskussion mit dem Arzt eintritt. (cid:129) Selbst der zurückhaltende Patient fühlt sich zum Ein- wand aufgefordert, wenn er auf einen Parodontologen trifft, der allzu autoritär da- herkommt. Ein Parodontologe, der um diesen psychologischen Wett- streit weiß, kann Einwände besser einordnen und aus- schließen, dass sie überhaupt erst entstehen. Der „Kampf“ um die Dominanz im Gespräch Der Status zwischen Arzt und Patient wird meistens mit- hilfe bestimmter Rituale fest- gelegt und verändert. Zu den Ritualen gehören das ge- genseitige Kennenlernen, die Frage, wer das Gespräch führt und dominiert, oder wie man erreichen kann, dem anderen Literatur Stempfle, Doris: Alle doof, außer mich! Über die Lust (Last), andere Menschen besser zu verstehen. Illustriert von Timo Wuerz. Breuer & Wardin Verlagskontor, Bergisch Gladbach 2009. sympathisch zu sein. Das Er- gebnis dieser Rituale ergibt das, was wir „Beziehung“ nennen. Gerade beim Erstkontakt überprüft jeder der Ge- sprächspartner, ob ihm der andere sympathisch ist oder ziehungskonflikt – zu formu- lieren. Aber Achtung: In den meis- ten Leitfäden zum Aufbau ei- ner positiven Patientenbe- ziehung wird der unverbind- liche Small Talk als Eisbre- cher empfohlen, dabei jedoch nicht. Zugleich reflektiert jeder die Frage, wie er selbst auf den anderen wirkt. Dieser Abgleich des Verhältnisses zueinander geschieht oft auf einer unbewussten Ebene. Zweck des Wettbewerbs ist es, das eigene Profil hervor- zuheben, um den eigenen Stellenwert in dieser Bezie- hung festzustellen. Bei einer erheblichen Diskrepanz die- ser subjektiven Bewertungen entsteht ein Beziehungskon- flikt, der sich in den Einwän- den spiegelt, die der Patient vorbringt: Dieser fühlt sich dem Arzt unterlegen und ver- teidigt sich daher mit Ein- wänden, die objektiv nicht gerechtfertigt sind. Dem Pa- tienten geht es darum, sich zu behaupten und vor sich selbst nicht das Gesicht zu verlieren. Das wäre die Folge, wenn er dem Arzt ohne Wenn und Aber zustimmen würde. Für das genannte Beispiel heißt das: Aus Furcht, von der „Halbgöttin in Weiß“ do- miniert zu werden, geht der Patient so weit, dass er sogar die medizinisch vollkommen gerechtfertigte Implantation ablehnt. Er äußert den Ein- wand also, um sich gegen die Überlegenheit der Ärztin zu schützen. Gleichberechtigte Partner auf Augenhöhe Ein Parodontologe sollte da- her versuchen, die Bezie- hung zu einem Patienten auf eine Ebene zu entwickeln, auf der sich beide als gleichbe- rechtigte Partner verstehen. Falsch wäre es demnach, die ohne Zweifel vorhandene Fachkompetenz hervorzuhe- ben und zu betonen. Natür- lich bezieht sich der Begriff „Gleichberechtigung“ nicht auf den medizinischen Be- reich. Aber der Patient sollte die berechtigte Überzeugung aufbauen können, sich in der Kommunikation mit dem Arzt auf Augenhöhe zu be- wegen. Wenn der Parodonto- loge versucht, einen Dialog in Gang zu setzen und dem Patienten Fragen stellt, ent- fällt für diesen häufig der Antrieb, Einwände – also Pro- filierungsversuche im Be- übersehen, dass – zumindest aus der Sicht des Patienten – der Arzt so die Gesprächsfüh- rung an sich reißt. Es ist paradox: Gerade der Small Talk kann unter Um- ständen der Anfang vom Ende einer vertrauensvollen Bezie- hung sein. Nämlich dann, wenn der Patient die Äußerun- gen des Parodontologen als Dominanzstreben interpre- tiert, nach dem Motto: „Warum drängt der mir nun ein Ge- spräch übers Wetter auf? Ich bin doch hier bei einem Arzt!“ Der Patient möchte etwas entgegensetzen, zum Beispiel Einwände zur Behandlungs- methode. Widerspruchshaltung vermeiden Ähnliches geschieht, wenn der Parodontologe den Pa- tienten – zumeist ungewollt – in die Defensive drängt. Er sagt zum Beispiel: „Damit hätten Sie eigentlich schon viel früher zu mir kommen müssen!“ Dieser Hinweis mag medizinisch gerechtfer- tigt sein, provoziert aber Widerspruch. Denn der Pa- tient weiß mit einiger Wahr- scheinlichkeit selbst, dass er den Arztbesuch allzu lange hinausgezögert hat. „Da muss ich mir nicht auch noch einen Rüffel gefallen lassen“ – so sein Gedanke. Und schon be- finden sich beide in einem Be- ziehungskonflikt. Denn um seinen Status aufzuwerten, muss der Patient dem Arzt jetzt widersprechen und Ein- wände erheben. Andere Patienten reagieren in solchen Fällen mit Ent- schuldigungen: „Sie haben ja Recht, aber ich hatte auf der Arbeit so viel zu tun …“ Das Problem: Durch solche Selbstrechtfertigungen wird der Patient noch mehr in die Defensive gedrängt. Die Situation kann sich ver- schlimmern, wenn Parodon- tologe und Patient das Ge- spräch nun mit völlig ver- schiedenen Wahrnehmungs- brillen beurteilen: Während der Arzt glaubt, das Gespräch verlaufe immer noch auf der (medizinischen) Sachebene, befindet sich der Patient auf der Beziehungsebene. Für das Beispiel heißt das: Jedes sachliche Argument, das die Parodontologin für die Notwendigkeit der Im- plantation vorbringt, kontert der Patient mit Gegenargu- menten. Die Ärztin zwingt den Patienten immer tiefer in die Profilierungshaltung hinein. Durch die unzu- reichende Reflexion des Patientenbedürfnisses nach Selbstdarstellung stößt sie ihn aus der Wohlfühlzone und pro- voziert noch mehr Ein- wände. Zurück in die Wohlfühlzone Was kann ein Parodon- tologe tun, um solche Si- tuationen zu vermeiden? Zum einen sollte er sich mit den psychologischen Hintergründen von Pa- tienteneinwänden be- schäftigen und sich dessen bewusst sein, dass der Patient Einwände erhebt, um sich ge- gen die Dominanz des Arztes zur Wehr zu setzen. Zum anderen sollte er dem Patienten zuhören und ihn so oft wie möglich zu Wort kommen lassen. „Warum sind Sie nicht früher in die Sprechstunde gekommen? Hatten Sie keine Zeit?“ Diese Fragen lassen das persönli- che Interesse des Parodonto- logen am Patienten erkennen. Dieser spürt, dass ihn der Arzt ernst nimmt und ihn für kom- petent und mündig genug hält, selbst entscheiden zu können, wann ein Arztbesuch notwendig ist. Vielleicht ent- steht ein Dialog – jetzt kann der Parodontologe dem Pa- tienten raten, die Praxis beim nächsten Mal rechtzeitig auf- zusuchen. Lange Zeit galt die „Ja, aber“- Technik als geeignetes Instru- ment, Einwänden zu begeg- nen. Demnach sollte der Arzt dem Gesprächspartner zu- erst Recht geben, um schließ- lich ein Gegenargument zur Entkräftigung des Einwan- des vorzutragen. Oft jedoch ist es so, dass sich der Patient durch das nachgeschobene „aber“ überrumpelt fühlt. Das „Ja, aber …“ kommt bei ihm so an: „Ja, ja, du hast ja Recht, aber eigentlich weiß ich es doch viel besser!“ Und schon befinden sich Patient und Arzt wieder in jenem Wett- streit um die Gesprächsvor- herrschaft. Besser ist es, die „Ja, und“-Technik einzuset- zen: „Ja, Sie haben Recht, und bestimmt legen Sie Wert darauf, dass …“ Kommuni- katives Fingerspitzengefühl hilft also, Einwänden vorzu- beugen. Kurzvita Doris Stempfle ist Unternehmens- Coach und Expertin für kreative Pro- blemlösungen in Führung und Verkauf. Die Betriebswirtin (VWA), die seit 1996 als Trainerin arbeitet, ist Mitglied im Q-Pool 100, der Offiziellen Qualitätsge- meinschaft Internationaler Trainer und -berater e.V., und der GSA, der German Speakers Association. Mit ihrer Firma „Stempfle Unternehmensentwicklung durch Training“ ist Doris Stempfle mehrfach ausgezeichnet worden. Adresse Stempfle Unternehmens- entwicklung durch Training Herdweg 13 74235 Erlenbach Tel.: 0 71 32/3 41 50-11 E-Mail: dstempfle@stempfle-training.de www.stempfle-training.de ANZEIGE NACHRICHTEN STATT NUR ZEITUNG LESEN! PARODONTOLOGIE NACHRICHTEN Die Zeitung für Parodontologie, Implantologie und Prävention I www.pn-aktuell.de Nr. 5 | Oktober 2010 | 7. Jahrgang | ISSN: 1613-7191 | PVSt: 64583 | Einzelpreis 8,– € Aktuell Schwerpunkt Knochen- und Geweberegeneration Augmentation Erfolgreicher Kieferauf- bau mit allogenem Kno- chen? Ein Erfahrungsbe- richt des Autorenteams Dr. Phillip Wallowy und Dr. Dr. Andreas Dorow. Wissenschaft & Praxis (cid:2) Seite 10 Auskunfts- pflicht Wie verhält sich der Be- handler gegenüber der PKV in puncto Aus- kunftserstattung und in- wieweit kann diese Ein- sicht in die Behandlungs- dokumentation nehmen? Recht (cid:2) Seite 16 Patienten- gespräch Einwände gegen Be- handlungsvorschläge sind durchaus legitim, sollten aber dennoch sachlich und vertrauens- voll besprochen werden. Praxismanagement (cid:2) Seite 17 Parodontologie 2010 GTR um Implantate Am 17. und 18. September fand die gemeinsame Herbst- tagung der DGP/ARPA im ehemaligen Plenarsaal des GTR um Implantate umfasst neben der Vorbereitung des knöchernen Implantatlagers die Gestaltung der periimplantären mukosalen Verhältnisse. Diese Kausuistik beschreibt die Deutschen Bundestages in Bonn statt. Möglichkeiten vor dem Hintergrund der aktuellen Literatur. Unter dem Motto „Parodon- tologie 2010: Exzellenz in der Forschung – Exzellenz in der Praxis“ wurde am ver- gangenen Freitag von Prof. Dr. Ulrich Schlagenhauf, Präsident der Deutschen Ge- sellschaft für Parodontolo- gie e.V. (DGP), und Prof. Dr. Jörg Meyle, dem Vorstands- vorsitzenden der ARPA-Wis- senschaftstiftung, die ge- meinsame Herbsttagung im einstigen Plenarsaal eröff- net. Knapp 600 Besucher nah- men am Programm, beste- hend aus wissenschaftli- chen Vorträgen, verschiede- tale Regeneration, die Per- spektiven der parodontalen Stammzelltherapie sowie im Zuge der Kurzvorträge die vorläufigen Ergebnisse ei- ner prospektiven Untersu- chung zur Tunneltechnik bei multiplen Rezessionen be- sprochen. Neue Ansätze der lokalen Antibiotikagabe zur Be- handlung der chronischen und aggressiven Parodontitis wurden während des Sym- posiums der Firma Heraeus in den Fokus genommen. Prof. Dr. Dr. Ti-Sun Kim stellte dabei die lokale Ap- plikation der systemischen nen Symposien und Poster- präsentationen, teil. Dabei wurden am ersten Kongress- tag Themen wie bioaktive Faktoren für die parodon- Antibiose gegenüber. Im di- rekten Anschluss erläuterte Prof. Dr. Peter Eickholz (cid:2) Seite 18 a b c d Abb. 1a bis d: Röntgenologisches Follow-up des Zahnes 21 mit einer lateralen parodontalen Zyste. Mit dem wachsenden ästhe- tischen Anspruch an die prothetische Rehabilitation durch Patient und Zahnarzt steht die periimplantäre mu- kosale Situation und Funk- tion im Grenzbereich zur Suprakonstruktion immer mehr im Fokus. Dies erfor- dert die Steuerung auch die- ser Gewebe in Hinblick auf ihre Morphologie und Cha- rakteristik. Insofern ist es berechtigt, in der periimplan- tären Situation von Maß- nahmen zur gesteuerten Ge- weberegeneration, also von Guided Tissue Regeneration, zu sprechen. Es liegt sowohl im Interesse des Patienten als auch des behandelnden Zahnarztes, (cid:2) Seite 8 ANZEIGE Cupral ® – bewährt in Endodontie und Parodontologie mit den Eigenschaften von Calciumhydroxid, aber etwa 100fach stärkerer Desinfektionskraft GTR und GBR in der Sofortbelastung Die langsam ablaufenden Prozesse der gesteuerten Geweberegeneration stehen scheinbar im Widerspruch zur Beschleunigung der Implantattherapie. Sie eignen sich aber zur Kombina- tion mit der Sofortimplantation und der Sofortbelastung und führen so schneller zum Erfolg. Unbestritten haben Implan- tate im Vergleich zu konven- tionellem Zahnersatz viele ästhetische und funktionelle Probe und die lange Trage- dauer von Provisorien kann direkt durch Störung der Ein- heilung des Implantates und Osteogenese Osteoinduktion Osteokonduktion Zellen BMP Matrix + + KNOCHENBILDUNG Abb. 1: Die Grundprinzipien der Knochenbildung. Vorteile: Implantate befesti- gen nicht nur Kronen, Brü- cken und Prothesen, sie scho- nen auch die Zahnsubstanz gesunder Zähne und beugen dem Abbau des Alveolarkno- chens nach der Extraktion vor. Allerdings haftet der Therapie mit Implantaten ein großer Nachteil an: Zwischen dem Zeitpunkt des Zahnver- lustes und der Versorgung mit der Suprakonstruktion vergehen oft viele Monate. Die Wartezeit stellt die Ge- duld der Patienten auf die indirekt durch die Überlas- tung verbliebener Zähne das Gesamtergebnis beeinträch- tigen. Aus dieser Problema- tik ergibt sich ein ständiger Druck, die Behandlungs- dauer durch Sofortimplanta- tion und Sofortbelastung zu reduzieren. Mithilfe der ge- steuerten Geweberegenera- tion kann man die Indikation dieser Techniken ausweiten und in Bereichen sofort im- plantieren und sofort belas- ten, in denen dies ansonsten nicht möglich wäre. Einleitung Die Regeneration von Kno- chengewebe basiert auf den folgenden Mechanismen (Abb. 1)11,23,45. Bei der Osteo- genese kommt es durch die Verpflanzung von vitalen kör- pereigenen (autogenen) kno- chenbildenden Zellen zur Knochenneubildung. Der Pro- zess, der die Osteogenese auch ohne die Verpflanzung von Osteoblasten induziert, wird Osteoinduktion genannt. Unter dem Einfluss von Kno- chenmatrixproteinen, den so- genannten bone morphoge- netic proteins (BMPs), diffe- renzieren pluripotente me- senchymale Zellen in der näheren Umgebung des Kno- chendefekts in knochenbil- dende Zellen. Unter Osteo- konduktion versteht man die Implantation einer porösen Leitstruktur, in die das umge- bende Knochengewebe hin- einwachsen kann. Um diese langsam ablaufen- den Prozesse der Knochen- (cid:2) Seite 3 Schnelle Ausheilung. Selektive Auflösung des Taschen- epithels mit Membranbildung. Sicheres Abtöten aller Keime mit Langzeitwirkung ohne Resistenzentwicklung, auch bei Anaerobiern und Pilzen. Humanchemie GmbH · Hinter dem Kruge 5 · D-31061 Alfeld/Leine Telefon +49 (0) 51 81 - 2 46 33 · Telefax +49 (0) 51 81 - 8 12 26 www.humanchemie.de · eMail info@humanchemie.de Fax an 03 41/4 84 74-2 90 Bestellung auch online möglich unter: www.oemus.com/abo www.kn-aktuell.de www.pn-aktuell.de ✂ Die Zeitung für Parodontologie, Implantologie und Prävention