6 | www.pn-aktuell.de WISSENSCHAFT & PRAXIS Nr. 1 | Februar 2011 Fortsetzung von Seite 1 des Gingivasaumes deren Ur- sache sind. Ebenso konnte er zeigen, dass die Gingivitis nach sorgfältiger Entfernung der Plaque reversibel ist (Abb. 1). Bleibt die Entzündung des Zahn- fleisches jedoch bestehen, kann sie sich auf tiefer liegende Ge- webe ausbreiten, was schließlich zur Parodontitis führt. Untersu- chungen haben gezeigt, dass nicht primär das Eindringen von Bakterien in die Gingiva dafür verantwortlich ist, sondern die Entzündungsprozesse selbst als Motor des Destruktionsprozes- ses gesehen werden müssen (Kornman et al., 1997; Kinane et al., 2008; Socransky & Haffa- jee, 2008)). Das den Sulkus aus- kleidende Saumepithel ist einer- seits über Hemidesmosomen fest mit der Zahnoberfläche ver- bunden, andererseits lassen die desmosomalen Verbindungen der Saumepithelzellen unter sich das Durchsickern von Toxi- nen aus der Plaque durch das Saumepithel zu; es ist perme- abel. Allererst reagieren auf die- sen Reiz die Blutgefäße in der Gingiva mit Vasodilatation. Da- durch können im Blut vorhan- dene Abwehrstoffe (z. B. Anti- körper) und Abwehrzellen mit dem Exsudat ins Gingivagewebe gelangen, welches sich schließ- lich in den Sulkus entleert. In der Sulkusflüssigkeit befinden sich Abwehrstoffe und Abwehrzel- len, die teilweise bereits hier ihre Abwehraufgaben gegen Fremd- stoffe und Bakterien erfüllen. Abwehrzellen (Mikro- und Ma- krophagen) haben zur Aufgabe, entweder für den Körper fremde Stoffe und Partikel zu phago- zytieren oder sie bilden Antikör- per (Lymphozytenpopulation), die sich mit körperfremden Stof- fen (Antigenen) verbinden und schließlich von den Phagozyten aufgenommen werden. Mikro- phagen sind nur kurzlebig. Sie zerfallen schnell und geben ih- ren enzymatischen Inhalt frei, der zur Auflockerung des epi- thelialen Gefüges beiträgt. Das Saumepithel verändert sich zum Taschenepithel, die Epithelzel- len proliferieren in die Tiefe, der Sulkus wird zur Tasche (Abb. 2 und 3). Phagozyten und Lymphozyten haben also eine wichtige Ab- wehrfunktion gegen das Ein- dringen von körperfremden Stoffen ins Gewebe zu erfüllen. Sie geben dabei Stoffe ab, Zyto- kine, die ihrerseits weitere Ab- wehrmechanismen stimulieren und so mithelfen, eine komplette Verteidigung des Körpers gegen Fremdstoffe und Bakterien auf- zubauen. Zytokine haben leider auch Nebenwirkungen, die für parodontale Hart- und Weich- gewebe destruierende Folgen haben (Kinane et al. 2008). Die Zielsetzung der modernen Parodontitistherapie ist, das Pa- rodontium entzündungsfrei zu Implantat versus Parodontaltherapie machen und gleichzeitig die Ta- schentiefe zu reduzieren (Wenn- ström et al., 2008). Diese sollte nach der Therapie nicht mehr als fünf Millimeter betragen. Heutzutage wird diese Zielset- zung weitgehend mittels rege- nerativen Therapien realisiert. Man geht mit dem Gewebe sehr vorsichtig um und versucht, die regenerativen Kräfte des Paro- dontiums zu mobilisieren. Die aktuelle Parodontitistherapie strebt Attachmentgewinn an. Dieser kann erreicht werden durch parodontale Reparation, ziellen Methoden können auch alle parodontalen Gewebe zur Regeneration angeregt werden. Als regenerative Methoden ha- ben sich bewährt die gelenkte Geweberegeneration (GTR), Ap- plikation von Emdogain® und Kombinationstechniken, wobei Knochen oder Knochenersatz- materialien in alveolären De- fekten mittels Membran bedeckt und fixiert werden. Damit wird Attachment gewonnen, die Son- diertiefe auf das normale Maß von 2–3 mm zurückgebracht (Abb. 4 und 5). Anzahl Patienten in verschiedenen Altersgruppen (I–II), (Axelsson et al., 2004) 1972 1987 2002 Gruppe I (20–35 Jahre) Gruppe II (36–50 Jahre) Gruppe III (51–65 Jahre) Alle 156 134 85 375 137 116 64 317 133 100 24 257* *49 gestorben, 61 weggezogen, 8 kein Interesse Tab. 1 Mittelwerte von PI, GI, ST (mm) und KA (mm) ein bis sechs Jahre nach der Parodontalbehandlung (PA) und Implantation (IS), (Machtei et al., 2006) PA IS PI GI ( X ± SD ) ( X ± SD ) ST (mm) ( X ± SD ) KA (mm) ( X ± SD ) 1,2 ± 0,48 1,2 ± 0,27 2,66 ± 0,56 3,8 ± 0,97 0,8 ± 0,47 1,1 ± 0,31 3,66 ± 0,88 3,95 ± 1,02 P = 0,0018 P = 0,048 P = 0,001 nicht signif. PI = Plaque Index, GI = Gingivitis Index, ST = Sondiertiefe, KA = Klin. Attachment- niveau Tab. 2 Mittlerer Verlust an Knochenhöhe (mm) bezüglich Implantatschulter und Schmelz-Zement-Grenze ein bis sechs Jahre nach Parodontalbehandlung (PA) und Implantation (IS), (Machtei et al., 2006) mesial ( X ± SD ) distal ( X ± SD ) mesial + distal ( X ± SD ) 0,4 ± 0,28 0,58 ± 0,38 0,49 ± 0,31 1,8 ± 2,17 1,64 ± 2,17 1,62 ± 2,17 P = 0,00363 P = 0,085 P = 0,0508 PA IS Tab. 3 wobei nur einige der parodon- talen Gewebe regenerieren, die parodontale Wunde aber nach sorgfältiger Entfernung der mikrobiellen Beläge ausheilt und die Taschentiefe reduziert wird. Histologisch zeichnet sich parodontale Reparation durch ein langes Epithel an der Wurzel- oberfläche aus, wie es jeweils nach einem Root-Debridement oder Scaling/Root Planing in ge- schlossener und offener Form (Lappenoperation ohne Kno- chenchirurgie) vorliegt. Mit spe- Langfristige Erfolgschance parodontal behandelter Zähne Es gibt genügend Hinweise über die langfristige Erfolgschance behandelter Zähne. Die wohl kräftigste Studie ist jene von Axelsson et. al. (2004), in der auch Zähne nach parodontaler Behandlung eingeschlossen wa- ren. Die Beobachtungszeit er- streckte sich über 30 Jahre. Die Axelsson-Gruppe hatte 1973 mit 375 in drei Alterskategorien eingeteilten Patienten eine Stu- die begonnen, um die Bedeutung der Nachsorge zu untermauern (Tab. 1). Nach 30 Jahren waren noch 257 Patienten zur Kontrolle angetreten, die sich regelmä- ßigen Nachsorgebehandlungen unterzogen hatten. Die Autoren stellten fest, dass in 30 Jahren durchschnittlich 0,4 bis 1,8 Zähne, verteilt über die drei Al- tersgruppen, extrahiert werden mussten. Dabei fiel auf, dass die Patienten in der höchsten Alters- gruppe die meisten Zähne (1,8) verloren hatten und die Molaren in allen Altersgruppen am häu- figsten betroffen waren. Abge- sehen davon, dass der Verlust von 1,8 Zähnen in 30 Jahren bei Senioren als nicht übermä- ßig einzuschätzen ist, wäre es naheliegend anzunehmen, dass Plaqueakkumulationen im Mo- larenbereich dafür verantwort- lich gemacht werden müssten. Aus der Studie geht jedoch her- vor, dass durch strikte, gut struk- turierte Nachsorge und optima- le persönliche Mundhygiene die Plaque in allen Altersgruppen gut und gleichmäßig unter Kon- trolle war. Es gilt also andere Faktoren dafür verantwortlich zu machen. Sie werden in der Studie als tiefe Kronen- und vor- nehmlich Wurzelfrakturen, ge- folgt von endodontischen Miss- erfolgen und Wurzelresorptio- nen angegeben. Aus diesen Er- kenntnissen lassen sich wichtige Indikatoren für Implantate able- sen. In einer aktuellen, vortreff- lichen Übersichtsarbeit (Liebig, 2010) wurden die Daten von 22 nach strengen Kriterien selek- tierten Studien herangezogen, um Überlebenschancen parodon- tal sanierter Zähne von 3.469 Patienten mit insgesamt 52.898 Patienten-Nachsorge-Jahren (5–22 Jahren) zu eruieren Die Auswertung verdeutlicht, dass die parodontale Nachsorge in der Gesamtheit der ausgewer- teten Studien verschiedener Teams mit verschiedenen Nach- sorgestrategien nicht zum Still- stand der Erkrankung führte, sondern die parodontale Des- truktion mit sukzessiver Zu- nahme von Zahnverlust chro- nisch fortschritt. Diese Aussage steht scheinbar in krassem Gegensatz zu den Ergebnissen der Axelsson-Studie (2004). Es gilt jedoch zu bedenken, dass die von der Axelsson-Gruppe ange- gebene Nachsorgebehandlung konsequent, nach streng festge- legten Richtlinien, von einem hoch trainierten Team durchge- führt wurde und keine Kompro- misse weder in Zeit noch Hand- lungen zuließ! Ebenfalls ein wichtiger Hinweis, der bei Im- plantaten berücksichtigt werden muss. Implantate Ziel der enossalen Implantolo- gie ist, die Basis zu schaffen, um verloren gegangene Kaueinhei- ten mittels prothetischer Maß- nahmen zu ersetzen (Abb. 6, 7). Meistens handelt es sich bei der Suprastruktur um festsitzende Rekonstruktionen. Implantate sind aber auch geeignet, um z. B. bei Edentaten mit schwierigen Kieferkammverhältnissen ein stabiles Bett für abnehmbare Prothesen herzustellen. Nach korrektem Einbringen ei- nes Implantates (Quirynen & Lekholm, 2008) wird die peri- implantäre Mukosa von einem keratinisierten Epithel bedeckt, welches sich Richtung Implantat in einem Saumepithel fortsetzt und durch ein Bindegewebs- band von ungefähr einem Mil- limeter Höhe vom knöchernen Implantatbett getrennt wird (Berglundh et al., 1991; Abra- hamsson et al., 1996; Lindhe, Wennström & Berglundh, 2008; Lindhe, Berglund, Lang, 2008). Die Kollagenfasern des Binde- gewebes zeigen – verglichen mit der Gingiva – ganz andere Ei- genschaften. Sie inserieren ent- weder in groben Bündeln im Pe- riost des marginalen Knochens und sind parallel zur Implantat- oberfläche ausgerichtet oder verlaufen in Bündeln mehr oder weniger parallel zum Knochen- rand. Die periimplantäre Mu- kosa enthält substanziell mehr Kollagen als die Gingiva, aber weniger Fibroblasten als kor- respondierende Teile der Gin- giva. Das periimplantäre Ge- webe unterscheidet sich essen- ziell vom Parodont. Es gibt zwar eine das Implantat fest umschlie- ßende Epithel- und Bindege- websmanschette, die in ihrem strukturierten Aufbau mit jener der Gingiva verglichen werden kann. Das Bindegewebe ist aber anders zusammengestellt, die Fasern sind komplett anders orientiert und die Durchblutung ist geringer, es gibt kein paro- dontales Ligament (Abb. 8). Wird eine Parosonde für die Sondie- rung periimplantärer Taschen gebraucht, dringt die Sonde durch das apikal gelegene Epi- thel, trifft auf zumeist zur Im- plantatoberfläche parallel ver- laufende Bindegewebsfaser- bündel und verdrängt diese mit der Mukosa nach lateral. Dem Eindringen der Sonde ins tiefer liegende Gewebe wird durch die vertikale Anordnung der Binde- gewebsfasern kaum Widerstand geboten (Abb. 9). Dieses gilt auch für Entzündungsprozesse, die ebenfalls durch mikrobielle Plaque verursacht werden und im Wesentlichen übereinstim- men mit jenen bei der Gingivitis und frühen Parodontitis (Berg- lundh et al., 2008). Im Gegen- satz zu den parodontalen Ent- zündungen breiten sie sich in der periimplantären Mukosa paral- lel zur Implantatoberfläche und viel rascher in die tiefer liegen- den Bindegewebsschichten aus. Fortsetzung auf Seite 8