8 | www.pn-aktuell.de WISSENSCHAFT & PRAXIS Nr. 3 | Juni 2012 Prävention mit Konzept Parodontologie und Prophylaxe – diese zwei Begriffe rücken in einer Zeit des demografischen Wandels immer stärker in den Mittelpunkt des öffentlichen Interesses. Ergebnisse der letzten Mundge- sundheitsstudie (DMS IV) bele- gen, dass immer mehr Menschen im fortgeschrittenen Alter über immer mehr eigene Zähne verfü- gen. Die zuvor zitierte Studie zeigt aber auch, dass Erkrankungen des Zahnfleisches und des Zahnhalte- apparates – Gingivitis und Paro- dontitis – mit steigendem Alter deutlich zunehmen. Bereits in der Altersgruppe der 35- bis 44-Jähri- gen leiden 52,7 Prozent an einer mittelschweren Form und 20,5 Prozent an einer schweren Form der Parodontitis. Das bedeutet, dass etwa drei von vier Erwachse- nen im Laufe ihres Lebens an Pa- rodontitis erkranken. Dabei hat die Parodontitis nicht nur Auswir- kungen auf den Mundraum. Durch die enorme orale Schleimhaut- oberfläche und die starke bakte- rielle Besiedlung wirken sich Er- krankungen in diesem Bereich sehr schnell auf den gesamten Or- ganismus aus. Bei einer Parodon- titis haben pathogene Keimherde eine ständige Verbindung zum Blutkreislauf. Wechselwirkungen mit Diabetes, arteriosklerotischen Veränderungen und Herz-Kreis- lauf-Erkrankungen gelten als si- cher. Das Herzinfarktrisiko – in Deutschland Todesursache Nr. 1 – steigt durch eine Parodontitis nachweislich. Unter Berücksich- tigung des demografischen Fak- tors sowie unter Einbeziehung von Umwelt- und individuellen Risikofaktoren wird deutlich, dass enorme Herausforderungen auf die Zahnarztpraxen zukommen – fachlich und organisatorisch. Prophylaxe in der Zahnarztpraxis ist kein „wirtschaftlicher Selbst- läufer“. Bei der Planung sind zwin- gend einige erfolgskritische Fak- toren zu berücksichtigen, die sich vom Grundsatz her an einigen wenigen prägnanten Oberthemen festmachen lassen. Es ist von ent- scheidender Bedeutung, dass eine Prophylaxephilosophie entwi- ckelt und vom gesamten Praxis- team akzeptiert und gelebt wird – Prophylaxe istTeamarbeit! Professionelle Prophylaxe benö- tigt darüber hinaus klare organi- satorische Regelungen und Pro- zessbeschreibungen, auf deren Grundlage Investitionsentschei- dungen, Wirtschaftlichkeitsbe- rechnungen, Personalauswahl etc. erfolgen müssen. Eine Prophylaxe „light“, die nebenbei durchgeführt wird, hat kaum Chancen, sich zur neuen Kernkompetenz der Praxis zu entwickeln – Potenziale bleiben ungenutzt. Unter dem Stichwort „Reinigen mit Verstand“ werden qualifizierte und motivierte Mit- arbeiter zwingend benötigt. Ohne sie ist eine erfolgreiche Implemen- tierung nicht möglich. Patienten- und Serviceorientierung sind in diesem Umsetzungsprozess unbe- dingt erforderlich. Nach gründlicher Untersuchung und Anamnese durch den Zahn- arzt, inkl. Erhebung eines PSI’s (Parodontaler Screening Index) zur Ermittlung des parodontalen Behandlungsbedarfs, beginnt die Prophylaxeassistentin mit der Sit- zung. Klinische Parameter und indivi- duelle Risikofaktoren bilden da- bei die Basis für eine individuelle Risikoeinschätzung des Patienten mit anschließender individueller Therapie- und Behandlungsfestle- gung. Die Risikofaktoren müssen dabei in ihrer Gesamtheit betrach- tet werden. Um verschiedene Dokumentatio- nen der Befunde und unterschied- lich quantitative Einschätzungen des parodontalen Risikos zu ver- meiden, sind standardisierte Ab- läufe zwingend. Neben den zahnbezogenen Faktoren (Furkationsbeteiligung, iatrogene Faktoren, partielle At- tachmentverluste) und den stel- lenbezogenen Faktoren (Sondie- rungstiefe, PSI, Suppuration, sub- gingivale Mikroflora) sind die patientenbezogenen Faktoren von besonderer Bedeutung. Die Komplexität der Parodontitis mit ihren zahlreichen Einflussfak- toren und dem ständigen Gegen- spiel von Noxen und Immunant- wort macht eine umfassende Be- wertung des individuellen Risikos erforderlich. Je nach ermittelten angepasst werden. Ein kontinuier- liches Risikomanagement mit konsequenter Durchführung der Prophylaxe in risikoorientierten Zeitabständen kann bei den meis- ten Patienten die parodontalen Verhältnisse über längere Zeit- räume stabilisieren. In Zusammenarbeit mit der Deut- schen Gesellschaft für Parodon- tologie e.V. (DGP), der Deutschen Gesellschaft für Zahn-, Mund- und Kieferheilkunde e.V. (DGZMK) und verschiedenen Universitäten wurde mit der Software „ParoSta- tus.de“ (www.ParoStatus.de) ein besonders benutzerfreundliches Programm entwickelt, dessen Be- funddokumentation und Verlaufs- analyse von der DGP e. V. akkredi- tiert ist. Mit dem Programm werden die er- hobenen Befunde sehr übersicht- lich und nachvollziehbar doku- mentiert, wobei die Dokumenta- tion einem wiederkehrenden logi- schen Ablauf folgt. Dadurch wird kein Parameter unbeabsichtigt vergessen und die Einarbeitung in das Programm auf ein Minimum reduziert. Die Dateneingabe kann per Fußsteuerung, per kabelloser Tray-Tastatur oder alternativ per Sprachsteuerung vorgenommen werden. Ohne zusätzliche Assis- tenz können so die o.g. Parameter Zeigen und Erklären des Parodontalstatus. Befunden erfolgt die Zuordnung des Patienten zu einer von drei Ri- sikogruppen. Die Skalierung der Parameter erfolgt in den Stufen „niedriges“, „mittleres“ und „ho- hes Risiko“. Daraus ergeben sich die Empfehlungen für individuelle Recallfrequenzen und Therapie- maßnahmen. (cid:129) Niedriges Risiko: Prophylaxesit- zung alle sechs Monate (cid:129) Mittleres Risiko: Prophylaxesit- zung alle vier bis fünf Monate (cid:129) Hohes Risiko: Prophylaxesit- zung alle drei Monate Eine erneute Risikoeinstufung nach ca. einem Jahr bietet die Mög- lichkeit, den Krankheitsverlauf und den Behandlungserfolg zu dokumentieren und zu verfolgen. Behandlungsschritte und Maß- nahmen zur Intensivierung der Patientencompliance sowie Re- callabstände können individuell in wenigen Minuten lückenlos er- hoben werden. Nach abgeschlos- sener Befunderhebung steht eine Auswertung zur Verfügung, aus der das individuelle Erkrankungs- risiko, die empfohlene Recallfre- quenz sowie Behandlungs- und Therapievorschläge hervorgehen. Von entscheidender Bedeutung für die Nachhaltigkeit des Be- handlungserfolges ist, dass der Patient seine Befunde und damit sein Erkrankungsrisiko sowie die entsprechenden Behandlungs- empfehlungen versteht. Klinische Studien haben bewiesen, dass nur ein aufgeklärter und gut infor- mierter Patient dauerhaft moti- viert werden kann. Eine professionelle Unterstützung in diesem manchmal recht schwie- rigen Kommunikationsprozess stellt das ParoStatus.de-System dar. Seine besondere Stärke liegt in der patientengerechten und verständlichen Aufbereitung der Daten und Befunde. Neben der Darstellung auf einem Monitor erhält der Patient einen Ausdruck („1-Blatt-Lösung“) mit einer individuellen Bewertung seiner Befunde und Einschät- zung seines persönlichen Erkran- kungsrisikos. Leicht verständli- che Ausführungen zu den wesent- lichen Inhalten, selbsterklärende Schaubilder sowie eine farbige Darstellung (Ampelfunktion) des Erkrankungsrisikos versetzen den Patienten in die Lage, sich mit seinen Befunden – auch zu Hause – auseinanderzusetzen. Grün bedeutet, wie man unschwer vermuten kann, „alles okay“. Gelb hingegen „Achtung, Vorsicht, die- ser Bereich muss beobachtet wer- den“ und Rot wird gleichgesetzt mit sofortigem Handlungsbedarf. Am Ende der Auswertung wird ne- ben der Risikoeinschätzung auch der nächste Termin auf Grundlage der ermittelten Daten vom Pro- gramm automatisch vorgeschla- gen. Das erleichtert die Kommuni- kation, beeindruckt den Patienten nachhaltig und wirkt neutral. Bereits in der Behandlungs- bzw. Beratungssituation kann die Pro- phylaxemitarbeiterin anhand der Monitordarstellung Fakten und Empfehlungen aufgreifen oder auf Nachfragen des Patienten ge- zielt reagieren. Der weitere Behandlungsablauf und die vorgeschlagenen indivi- duellen Recallabstände werden so für den Patienten transparent und nachvollziehbar. Der Patientenausdruck enthält darüber hinaus individuelle Hand- lungsempfehlungen für die häus- liche Mundhygiene und Vor- schläge für geeignete Mundhygie- neprodukte. Zum Beispiel wird anhand des individuellen Zahn- schemas die Verwendung geeig- neter, farbig codierter Zahnzwi- schenraumbürstchen grafisch an- schaulich dargestellt. Außerdem werden die Zahnbürsten und die Zahnpasten, die man dem Patien- ten individuell empfiehlt, in Text- und Bildform festgehalten. Der Patient erhält so eine Orientierung im „Werbedschungel“. Diese Art der Patienteninforma- tion kommt dem in verschiedenen Studien belegten Bedürfnis nach verständlicher Aufklärung und Information sehr entgegen. Es kommt nicht darauf an, dem Pa- tienten möglichst viele Informa- tionen mit auf den Weg zu geben, sondern darauf, die Informationen individuell und zielgerichtet zu gestalten. Wenn Anleitungen eine bestimmte Größenordnung über- schreiten, sinkt die Bereitschaft, sie überhaupt zu lesen. Wenn In- formationen allgemein gehalten sind, fühlen sich die Patienten nicht angesprochen. Daher sollen Patienten in Informationsbro- schüren persönlich mit Namen an- gesprochen werden und das Aus- maß sollte eine DIN-A4-Seite nicht überschreiten. Durch gezielte In- formationen in Textform werden während der Recalltermine zeit- raubende Wiederholungen redu- ziert. Die damit freigesetzten Zeit- ressourcen stehen zur Motivation bzw. Remotivation und weiteren Instruktion des Patienten zur Ver- fügung. Manchmal schwer zu rea- lisierende Verhaltensänderungen können so effektiv unterstützt werden. Zum Ende der Prophylaxesit- zung erfolgt die Besprechung und Bewertung der zusammenge- stellten Befundparameter mit der individuellen Risikobestimmung. Je nach Ausprägung des Karies- bzw. Parodontitisrisikos (niedrig, mittel, hoch) wird dem Patienten dargelegt, dass er im Sinne des Be- handlungserfolges in Abständen von sechs, fünf oder drei Monaten zur nächsten Prophylaxesitzung wieder einbestellt wird. Die Risi- koprofilauswertung mit der dazu- gehörigen Recall-Einstufung wird dem Patienten zur Verdeutlichung der Erläuterungen als Ausdruck mitgegeben. Wichtig ist, dass der Patient einen konkreten Termin zur nächsten Prophylaxesitzung erhält, bevor er die Zahnarztpraxis verlässt. Ihm muss deutlich werden, dass er sich in einem durchstrukturier- ten Behandlungsablauf befindet, der nur bei konsequenter Einhal- tung Aussicht auf Erfolg hat. Be- währt hat sich auch ein Erinne- rungsverfahren (Mail, Anruf, SMS etc.), mit dem der Patient rechtzeitig vor seinem nächsten Termin einen Hinweis für die be- vorstehende Prophylaxesitzung erhält. Das ParoStatus.de-System (www.ParoStatus.de) bietet dazu eine neue Smartphone-App für Android und iPhone, die gerade deutschlandweit in verschiedenen Praxen getestet wird. Der Patient erhält sein individuelles Risiko- profil, seine individuellen Emp- fehlungen und die für ihn ausge- suchten Produkte direkt auf sein Smartphone. Damit er seinen Termin nicht vergisst, erinnert ihn sein Telefon über die Paro- Status.de-App rechtzeitig daran. Denn nichts ist ärgerlicher, als sich eine Stunde für die Behandlung Zeit zu nehmen, und der Patient kommt nicht. Die Praxis erhält außerdem eine eigene Seite in der ParoStatus.de-App, über die der Patient mit der Praxis kommuni- zieren kann, um beispielsweise den Termin zu verschieben oder sich über Öffnungszeiten und An- fahrt zu informieren. Adresse Sylvia Fresmann Deutsche Gesellschaft für Dentalhygieniker/-innen e.V. Fasanenweg 14 48249 Dülmen fresmann@dgdh.de www.dgdh.de