6 | www.pn-aktuell.de WISSENSCHAFT & PRAXIS Nr. 3 | Juni 2015 Fortsetzung von Seite 4 Handeln vorausgehen und re- kurrierend aktualisiert werden; sie ist zur Absicherung der Dia- gnose und zur Einschätzung der Prognose unverzichtbar. Dabei gilt es, Risikopatienten auf ver- schiedenen Ebenen zu identifi- zieren und die weiteren Be hand- lungsplanungen darauf abzu- stimmen (Tab. 1). Hierfür sollte die Anamneseerhebung zur Er- fassung des allgemeinen Ge- sundheitszustands sowie der Medikamenteneinnahme eine Grundlage und der Standard in jeder zahnärztlichen Praxis sein. Durch eine ausführliche Befragung des Patienten sind der Notwendigkeit einer Anti- biotikaprophylaxe (Tab.: Risiko- Profil II) sowie der Erkennung von symptombezogenen Zusam - menhängen durch Allgemein - erkrankungen und/oder Medika- menten (Tab.: Risiko-Profil III). Nachfolgend werden die wesent- lichen Punkte der beiden Risiko- Profile kurz besprochen: Risiko-Profil II Aufgrund eines erhöhten Infek- tionsrisikos bei zahnärztlichen Eingriffen sind Patienten mit ei- ner veränderten Immunantwort, reduzierter Infektionsabwehr und/oder bei Immunsuppression als potenzielle Risikopatienten einzustufen. Hierzu zählen Pa- Risiko-Profil III Zusammenhänge zwischen ver- schiedenen Allgemeinerkran- kungen (z. B. Diabetes mellitus, rheumatoide Arthritis), Medika- menten, Gesundheitsverhalten (z. B. Rauchen, Alkoholkonsum) und Veränderungen im orofa - zialen System und/oder deren Wechselwirkungen sind in den letzten Jahren zunehmend be- schrieben worden. Auf einige ausgewählte Faktoren aus dem Risiko-Profil III wird im Fol - genden nochmals eingegangen. Diabetes mellitus: Einer der be- deutendsten Risikofaktoren ist das Vorliegen eines Diabetes mellitus (Typ I oder II). Die Be- ziehungen zwischen Parodon - Parodontalerkrankungen fester Bestandteil des Diabetesmana - gements werden sollte und folg- lich die Überprüfung sowie Si- cherstellung der glykämischen Einstellung (HbA1c: 5,7 % bis 6,4 %) einen entscheidenden As- pekt der zahnärztlichen Betreu- ung und Therapie darstellen. Dabei bleibt zu berücksichtigen, dass in vielen Fällen das Vorlie- gen eines Diabetes mellitus zum Zeitpunkt der zahnärztlichen Konsultation nicht bekannt ist. In diesem Zusammenhang bietet der Zahnarztbesuch eine Mög- lichkeit für ein Diabetes-Scree- ning. Ergänzend zur Anamnese stehen hierfür verschiedene Risikofragebögen für ein ziel - eine (schwere) Parodontitis zu entwickeln, auf. Demnach müs- sen auch solche Erkrankungen im patientenbezogenen Risiko- management berücksichtigt wer - den. Bei unklarem Krankheits- zustand mit auffälliger Symp - tomatik ergibt sich u. a. die Mög- lichkeit der Detektion eines Rheumarisikos mit dem soge- nannten Rheuma-Check-Schnell- test. Gesundheitsverhalten: Zudem sollten Lebensgewohnheiten wie Rauchverhalten und Alkohol- konsum, ggf. Ernährungsverhal- ten, erfragt werden. Insbeson- dere der Risikofaktor Rauchen ist von besonderer Bedeutung: Raucher haben dosisabhängig Abb. 3: Zustand einer 65-jährigen Diabetespatientin (Typ 2, Raucherin, adipös, Hypertonie) mit unkontrollierter Diabeteseinstellung. möglichst präzise und umfas- sende Informationen über all - gemeinmedizinische Vorerkran- kungen, die Medikamentenein- nahme sowie persönliches Ge- sundheitsverhalten zu erlangen. Dabei sind u. a. folgende Punkte zwingend zu Beginn der Be- handlung bei Patienten abzuklä- ren: Herzerkrankungen (KHK, Klappenersatz, Endokariditis), Diabetes mellitus (HbA1c), (Auto-)Immunerkrankungen, Nierenerkrankungen, Blutge- rinnungsstörungen und Blut - erkrankung (Leukämie) sowie psychische Beeinträchtigungen (Depression und/oder Demenz), aber auch erfolgte Insertionen von Endoprothesen oder Or - gantransplantationen. Zudem sind Infektionserkrankungen wie HIV/AIDS oder Hepatitis A–C abzuklären. Daneben sollte die Einnahme von (allgemein- medizinisch/therapiebegleiten- den) Medikamenten überprüft werden, z. B. Blutdrucksenker, Immunsuppression. Diese An- gaben dienen in erster Linie der Identifikation von infektions - gefährdeten Patienten, ggf. mit tienten mit vorgeschädigtem Endokard oder Klappenersatz (Endokarditisrisiko), schlecht bzw. unzureichend eingestellte Diabetiker, Organtransplantierte, autoimmunerkrankte Rheuma- tiker und Endoprothesenträger (bis zu 2 Jahre nach Insertion). Über die Notwendigkeit einer antibiotischen Prophylaxe bei diesen Patienten wird vielfach diskutiert. Lediglich die Ame - rican Heart Association (AHA) und daran angelehnt die Deut- sche Gesellschaft für Kardio - logie (DGK) haben einheit - liche Richtlinien zur Antibio - tika gabe für die Endokarditis - prophylaxe bei zahnärztlichen Eingriffen festgelegt: Amoxi - cillin 2 g oral 1 Stunde vor Ein- griff; bei Penicillin-Unverträg- lichkeit: Clindamycin 600 mg 1 Stunde vor Eingriff. Für die an- deren Gruppen von Risikopatien- ten gibt es bisher keine konkre- ten Richtlinien. Es finden sich in der Literatur lediglich Empfeh- lungen zur entsprechenden Pro- phylaxe. Dabei wird in den meis- ten Fällen auf die oben genann- ten AHA-Richtlinien verwiesen. titis und Diabetes mellitus sind bidirektional. Einerseits kann ein (un)bekannter Diabetes sich auf den parodontalen Zustand auswirken. Dabei begünstigt das Vorliegen eines Diabetes mellitus die Entstehung, die Pro- gression und den Schweregrad einer Parodontitis; die (Zucker-) Einstellung (HbA1c) ist hierbei entscheidend für die (Patho-) Mechanismen (Abb. 2–4). Ande- rerseits beeinflusst die Paro - dontitis, in Abhängigkeit vom Schwergrad, die glykämische Einstellung von Diabetikern. So erschwert eine vorliegende Pa- rodontalerkrankung die glykä- mische Einstellung des Diabetes und erhöht das Risiko Diabetes assoziierter Komplikationen, wie z. B. Tod durch Herz- oder Nierenerkrankungen. Entsprechend ist bei Diabetes- patienten für die erfolgreiche Therapie und Prävention der Parodontitis und des Diabetes eine interdisziplinäre Abstim- mung zwischen Ärzten und Zahnärzten notwendig. Das bedeutet, dass die Berücksich - tigung und/oder Therapie von gerichtetes Diabetes-Risiko- Screening zur Verfügung, so z. B. der „FindRisk“. Zudem kön- nen spezielle Testverfahren wie die Bestimmung des Blutgluko- sespiegels (Blutglukosebestim- mung) sowie des HbA1c schnell und unkompliziert zur Verifi - zierung eines möglichen vorlie- genden Diabetes mellitus in der Praxis eingesetzt werden. Hier- durch kann ein mögliches Dia- betesrisiko festgestellt werden; weiterführend muss der Patient zur diagnostischen Abklärung zum Hausarzt und/oder Inter - nisten weitergeleitet werden. Autoimmunerkrankungen: Neben dem Diabetes mellitus haben auch noch andere Erkrankungen einen (wechselseitigen) Einfluss auf die parodontale Gesund - heit. Insbesondere entzündliche Autoimmunerkrankungen, wie die rheumatoide Arthritis oder chronische Darmerkrankungen (Colitis ulcerosa, Morbus crohn), gehen mit einem erhöhten Paro- dontitisrisiko einher. So zeigen Patienten mit rheumatoider Ar- thritis einen erhöhten Zahn - verlust und ein erhöhtes Risiko, mehr Parodontitis und schwere Verlaufs formen dieser; weiter- hin besteht ein erhöhtes Risiko, eine refraktäre/therapieresistente Parodontitis zu entwickeln. Medikamente: Bei medikamen- tenbezogenen Symptomen bzw. Komplikationen ist zu berück- sichtigen, dass bestimmte Medi- kamentengruppen wie Immun- suppressiva (Cyclosporin A), Kalziumantagonisten/Kalzium- kanalblocker (Nifedipin, Amlo- dipin sowie Diltiazem, Vera - pamil) und Antiepileptika (Phe- notoin) mit induzierten Gingiva- wucherungen verbunden sein können. Daneben können eine Vielzahl von Medikamenten, wie z. B. durch Diuretika, Zytosta- tika, Blutdruckmedikamente, Psychophamaka sowie Anti- Parkinson-Mittel, eine ausge- prägte Xerostomie bedingen. Dadurch kann es zu einer stei- genden Anfälligkeit für Karies, insbesondere Wurzelkaries, Pa- rodontitis und Candida-Infek- tionen, kommen. Daneben ist eine vorangegangene oder ak- tuelle Einnahme von Bisphos- phonaten abzuklären. Abb. 4: Zustand eines glykämisch gut eingestellten Diabetespatienten (Typ 1, HbA1c: 5,7%) nach Parodontitistherapie und 10-jähriger Nachsorge .