6 I www.pn-aktuell.de WISSENSCHAFT & PRAXIS Nr. 3 I Juni 2016 Mikroinvasivität durch Kariesinfiltration Aufgrund der allgemeinen und kostengünstigen Verfügbarkeit von Zucker seit etwa 150 Jahren ist die Karies zu einer weitverbreiteten „Zivilisationskrankheit“ geworden. Von Dr. Silke Hornstein, Prof. Dr. Peter Hahner, M.Sc., und Prof. Dr. Georg Gaßmann. CME-Fortbildung 2 CME-Punkte Mikroinvasivität durch Kariesinfiltration Dr. Silke Hornstein, Prof. Dr. Peter Hahner, M.Sc., Prof. Dr. Georg Gaßmann CME-ID 75536 Zum Beantworten dieses Fragebogens registrieren Sie sich bitte unter: www.zwp-online.info/cme-fortbildung Abb. 1 Abb. 2 Abb. 1: Bissflügelaufnahme vom 18.11.2009 vor der Infiltrationsbehandlung mit Icon® (DMG) approximal, kariöser Defekt Regio 37 mesial, schmelzbegrenzt. (KD) – Abb. 2: Zahnfilm vom 22.11.2011 nach der Infiltrations behandlung mit Icon® (DMG) approximal, keine Veränderung des kariösen Defektes Regio 37 mesial. (KD) in Patienten gleichsgruppe ohne kieferortho- pädische Intervention lediglich bei 11 % der Untersuchten auf- traten. In einer aktuellen Meta- analyse wird von einer Präva- lenz von White Spots von 68,4 % bei kiefer- orthopädischer Behandlung be- richtet (Sundararaj et al. 2015). Als mögliche Einflussfaktoren für das Entstehen von White Spots konnten die Autoren das Geschlecht (erhöhte Prävalenz bei männlichen Probanden), das Alter während der kiefer- orthopädischen Therapie (höhe- re Prävalenz bei Jugendlichen gegenüber Erwachsenen) und die Behandlungsdauer identifizie- ren. Die oberen Schneide zähne Behandlungsoptionen bei White Spots Dieses Stadium der Kariesent- wicklung ist noch ohne invasive Maßnahmen zu behandeln. Die aktive initiale kariöse Läsion kann durch Remineralisations- prozesse bei intensiver Mund- hygiene und Fluoridierungs- maßnahmen in einen inaktiven Zustand überführt werden. Eine Umwandlung des Schmelzes zurück in seine ursprüngliche Struktur und sein ursprüng- liches klinisches Erscheinungs- bild ist allerdings nicht mehr möglich. Die Prozesse sind le- diglich auf die oberflächlichen Schichten limitiert und führen Infos zur CME-Fortbildung auf ZWP online die Porosität des Schmelzes und es kommt letztlich zum Ein - bruch der Schmelzoberfläche, zur Kavitation. Dadurch besteht die Mög lichkeit zur Invasion und Besiedlung mit karies relevanten Bakterien (Fejerskov et al. 2008). Mikroinvasive Kariesinfiltration Bei der sogenannten Kariesinfil- tration handelt es sich um ein Ver- fahren, welches evtl. eine thera- peutische Lücke zwischen nicht- Abb. 3 Abb. 4 Abb. 5 Abb. 6 Abb. 3: Ausgangssituation. (KD) – Abb. 4: Reinigung und absolute Trockenlegung. (KD) – Abb. 5: Zustand nach SAT-Füllung Regio 21 vestibulär. (KD) – Abb. 6: Direktes Ergebnis nach Infiltrationsbehandlung und Compositefüllung bei 21. (KD) sind deutlich häufiger betroffen als die unteren, was wahr- scheinlich durch eine stärkere Benetzung der unteren Zähne mit Speichel als Voraussetzung für eine Remineralisation zu er- klären ist (Gorelick et al. 1982). Nach Befestigung eines Bra- ckets kann schon innerhalb eines Monats eine Läsion mani- fest werden (Øgaard et al. 1988). Diese Läsionen werden vom Patienten meistens optisch als sehr störend empfunden, so - dass schon aus ästhetischen Gründen eine Verbesserung gewünscht wird. optisch kaum zu einer posi - tiven Veränderung, sodass Be- reiche zurückbleiben, die auch als „Schmelznarben“ bezeichnet werden können (Hammad et al. 2012) und ein erhöhtes Risiko für eine weitere Karies progression aufweisen. Die vormals erkrank- ten Stellen erscheinen immer noch weiß. Wegen der veränder- ten Lichtbrechung wird aus einer opaken, matten Oberfläche eher eine glänzend weiße Ober flä che. Unterbleiben Interventionen zum Stoppen der Kariesprogression, steigt mit dem weiteren Fort- schreiten der Demineralisation invasiven Verfahren (z. B. Fluori- dierung) und dem klassischen invasiven Vorgehen (Entfernen der Läsion und anschließende Restauration) schließen kann und daher auch als mikro in vasiv bezeichnet wird. Hierbei werden die Porositäten im Bereich einer Schmelzkaries (= Läsionskörper) mit einem niedrigviskosen licht- härten den Kunststoff auf der Basis einer TEGDMA-Verbin- dung (Triethy l englycoldimeth- acrylat) als Infiltrant verschlos - sen (Müller et al. 2010, Paris und Meyer-Lueckel 2010). Dieser dri- ngt durch Kapillarkräfte in den Zur Kariestherapie ist in der Regel ein invasives Vorgehen nötig. Verluste von Zahnhart- substanz treten nicht nur beim Entfernen erkrankter, nicht „heilbarer“ Zahnbereiche auf, sondern auch, um z. B. bei appro- ximalen Läsionen die erkrank- ten Stellen erreichen zu können, sowie immer dann, wenn vor- handene Restaurationen erneu- ert werden müssen. Wünschens- wert wären daher neben einer effektiven Prävention zur Ver- meidung von Ersterkrankun- gen therapeutische Interventio- nen, mit deren Hilfe der Einsatz invasiver Behandlungsmetho- den umgangen oder zumindest herausgezögert werden könnte. Kariesprävalenz Der Rückgang der Kariespräva- lenz ist im Wesentlichen durch die Verbesserung der persönli- chen Mundhygiene und beson- ders durch die Anwendung von Fluoriden zu erklären. Selbst bei weiter steigendem Zucker- konsum kommt es unter Fluorid- anwendung zu geringeren Neu- erkrankungsraten (Bratthall et al. 1996). Auch wenn insgesamt in den vergangenen Jahren ein Rückgang der Karies zu ver- zeichnen war, bleibt die Präva- lenz kariöser Läsionen in frü- hen und mittleren Stadien bei Jugendlichen immer noch zu hoch. Die Ergebnisse der DMS IV-Studie zeigen, dass ein Karies- rückgang in allen Altersklassen zu erkennen ist: 12-jährige Kin- der haben 0,7 kariöse Zähne, bei Jugendlichen (15. LJ) sind es 1,8 Zähne, bei Erwachsenen (35.–44. LJ) 14,5 Zähne und bei Senioren (65.–74. LJ) 22,1 Zähne. Der Kariessanierungs- grad in Deutschland ist sehr hoch: bei Kindern und Jugend- lichen liegt er zwischen 78,1 und 79,8 % und bei Erwachsenen und Senioren zwischen 94,8 und 96,6 % (Micheelis und Schiffner 2006). Die angegebenen Zahlen betreffen dabei nur das blei- bende Gebiss, im Milchgebiss ist der Sanierungsgrad deut - lich schlechter. Progression ckelt haben, welche bereits eine Kavitation aufwiesen und somit eine sofortige invasive Behand- lung erforderten. Die Kariespro- gression über den Zahnschmelz hinaus in das Dentin erscheint rückläufig (Baelum und Fejers- kov 2015). Aus diesem Grund ist es wichtig, neben einer frühen und kontinuierlichen Diagnos- tik zum Monitoring langsam fortschreitender Läsionen neue, substanzschonendere Behand- lungsoptionen zu etablieren. Dabei sollten Methoden im Vor- dergrund stehen, mit denen die Kariesprogression in einem frü- hen Entwicklungsstadium ge- stoppt werden kann. Ätiologie Karies beginnt mit einem Mine- ralverlust unter der Schmelz- oberfläche, wenn durch die Ein- wirkung kariespathogener Bak- terien mehr Kalzium- und Phos- phationen aus dem Schmelz ge löst werden, als durch physiologische Remineralisationsvorgänge er- setzt werden. Der Verlust minera- lisierter Schichten verändert die Refraktion des Schmelzes, die ursprünglich transluzente Subs- tanz erscheint opak (Kidd und Fe- jerskov 2004). Daher wird diese initiale Form als sogenannter White Spot bezeichnet. Die Ober- fläche des Schmelzes bleibt dabei zunächst intakt, wobei diese Schicht wegen der darunter statt- gefundenen Veränderungen als „pseu do intakt“ gilt. Primärer ätiologischer Faktor ist die Bio- filmakkumulation besonders im zervikalen Bereich der Zähne. Die Geschwindigkeit der Karies- progression scheint sich zu ver- langsamen. Neben Erkrankun- gen, die schon im Kindesalter zur raschen und vollständigen Zerstörung der Zähne führen, stehen immer häufiger langsam fortschreitende Läsionen im Vor- dergrund (Whelton 2004). In einer Studie von Mejare et al. (2004) konnte gezeigt werden, dass sich bei Jugendlichen insgesamt approximal weniger neue Schmelzläsionen entwi- White Spots Häufig sind White Spots auch nach der Entfernung kiefer- orthopädischer Brackets zu sehen. Im Jahr 2011 wurde etwa in einer amerikanischen Studie von Tufekci et al. festgestellt, dass 46 % der Patienten zwölf Monate nach Abschluss einer festsitzenden kieferorthopädi- schen Behandlung mindestens einen White Spot aufwiesen, während diese in einer Ver-