6 I www.pn-aktuell.de WISSENSCHAFT & PRAXIS Nr. 5 I Oktober 2016 Die Einflüsse der Epigenetik Warum bekommen viele Menschen Krebs, Parodontitis und andere Erkrankungen? Die Ursache kann in epigenetischen Veränderungen liegen. Von Univ.-Ass. Dr. Hady Haririan, MSc. Dies hatte zur Folge, dass Fliegen mit roten Augen zur Welt kamen. Deren Nachkommen hatten zum Teil auch wieder rote Augen, ohne dass nochmals ein Hitze- reiz gesetzt wurde. Mit anderen Worten: die DNA-Sequenz, wel- che für die Augen farbe verant- wortlich ist, blieb gleich, die Augenfarbe änderte sich jedoch. Die Darwin’sche Evolutions- theorie, nach welcher es z. B. Mutationen für Änderungen des Phänotyps braucht, gilt zwar nicht als widerlegt, jedoch um einen wesentlichen Aspekt er- gänzt. Die epigenetische Prä- der Maus in der Schwanger- schaft. Ein Mix aus Vitamin B12, Folsäure und Cholin reicht für derart tiefgreifende Änderungen aus. Heraufregulierung des Ent- zündungsmediators NF-κB ver - antwortlich gemacht. Fazit Was hat das nun mit Parodontitis zu tun …? Wenn man durch Aufnahme von Plastikbestandteilen Krebs begünstigen kann, wie sieht es dann bei anderen Erkrankun- gen aus, deren Ätiologie noch nicht vollständig geklärt ist? Die Forschung arbeitet schon Das holistische Konzept rückt für die Parodontitisprävention und -therapie nun wieder ver- mehrt in den Vordergrund. Kann man durch Ernährung nach- weislich epigenetische Ver- änderungen steuern, die auch das Parodontium positiv beein- flussen? Die Forschung darüber hat gerade erst begonnen. Gegen die Modifi zierung einzelner DNA-Abschnitte können bestimmte Lebensmittel, wie z.B. Brokkoli, Granat apfel, Bohnen, Curcuma und insbesondere grüner Tee helfen. Infos zum Autor Literatur Adresse Univ.-Ass. Dr. Hady Haririan, MSc Universitätszahnklinik Wien Medizinische Universität Wien Sensengasse 2a 1090 Wien, Österreich Tel.: +41 1 90070-9720 hady.haririan@meduniwien.ac.at seit eini ger Zeit an epigeneti- schen Aspekten der Parodon- titis, um auch dort abnorme Muster der DNA-Methy lierung aufzuspüren. Warum reagieren wir unterschiedlich auf ent- zündliche Reize? Dies wurde bislang teilweise auf genetische Polymorphismen zurückgeführt. Nun scheint es aber, dass Me- chanismen wirken können, die nicht genetischen, sondern epi- genetischen Ursprungs sind. Bei Parodontitis wurde im Konkreten festgestellt, dass manche DNA-Abschnitte eine veränderte Methylierung auf- weisen und dadurch die Pro- duktion von proinflammato- risch wirksamen TNF-α gestei- gert wird. Es mutet jedoch so an, dass nicht nur die verän- derte DNA-Methylierung, son- dern auch eine Modifikation der Histone bei Parodontitis eine Rolle spielen. Diese durch Bakterien induzierte epigene- tische Modifikation wird für d i e gung beginnt bereits vor der Geburt, je nachdem, wie sich die werdende Mutter ernährt und welchen Toxinen sie sich aussetzt. Nach der Geburt formt sich das Erwachsenen-Epige- nom, welches durch Ernährung, Krankheit, Medikamente, Toxine und durch das Altern selbst be- einflusst wird. Dass Ernährung ein wesentli- cher Faktor für die phänotypi- sche Aus prägungen ist, wird uns im Tierreich erstaunlich vor Augen geführt. Eine Bienen- königin wird zu einer solchen nicht etwa, weil ihre DNA an- ders codiert ist als die einer Arbeiterin. Ihr Erscheinungs- bild ändert sich lediglich über eine veränderte Ernährung, wo- bei Gelée royale epigenetisch wirksam ist. Epigenetische Me- chanismen führen auch bei der Agouti-Maus zu einem anderen Aussehen. Ist die Agouti-Maus mit unmethylierter DNA gelb, fettleibig sowie anfällig für Dia- betes und Krebs, so erscheint die Agouti-Maus, deren DNA-Ab- schnitte methyliert sind, braun und dünn. Verantwortlich für das veränderte Er- scheinungsbild ist lediglich die Er- nährung Was kann man gegen epigenetisch wirksame Substanzen tun? Nachdem schon beinahe alles in Plastik verpackt ist, fragt man sich, was man denn nun gegen mögliche gesundheitsschädli- che Verpackungen und Beschichtun- gen tun kann. Wer nicht den Bio- Laden ums Eck hat oder selbst Obst und Gemüse anpflanzt, kann sich zumin- dest an gewissen Lebensmit- teln orientieren: Gegen die Modifizierung ein- zelner DNA-Abschnitte können bestimmte Lebensmittel, wie z. B. Brokkoli, Granatapfel, Bohnen, Kurkuma und ins- besondere grüner Tee helfen. Dass die Krebsrate in Japan, wo aufgrund des stressigen Le- bensstils ein hö- heres Auftreten von Krebs vermu- tet werden könnte, signifikant niedriger ist als in anderen Industriena tionen, ist wahrscheinlich auf den hohen Konsum des grünen Tees zu- rückzuführen. Dies wird auch als „Japanisches Paradox“ bezeich- net. Der Inhaltsstoff Epigalloca- techin-3-Gallat des grü nen Tees kann die DNA-Methy lierung hemmen und somit dem Ent- stehen von Krebszellen entge- genwirken. Bin ich nur für mich verantwortlich ...? Welche Gene an- oder abgeschal- tet wurden, hängt nicht nur von einem selbst ab. Diese epigene- tischen Änderungen können auch direkt vererbt werden. Ein- drucksvoll ließ sich dies anhand vermehrten Auftretens chroni- scher Erkrankungen dokumen- tieren, die bei Nachkommen von Personen auftraten, deren El- tern oder Großeltern während der Schwangerschaft Hunger er- leiden mussten. In Untersuchun- gen über Diabetes konn- te gezeigt werden, dass bei großen Hungersnö- ten der letzten 100 Jahre die Mangelernährung wäh rend der Schwanger- schaft zu einem erhöhten Diabetesrisiko in den Folge- generationen führte. Ein epi- genetischer Mechanismus wird dahinter vermutet. Im Tierexperiment konnte eben- falls gezeigt werden, dass durch epigenetische Einflüsse hervor- gerufene Merkmale direkt an nächste Generationen vererbt werden können. Fliegenlarven wurden in einem Experiment an der ETH Zürich in Basel unter Prof. Renato Paro beispiels weise unüblicher Hitze ausgesetzt. Seit der Entdeckung der DNA -Struktur im Jahr 1953 war für Viele von uns klar: Unsere Merkmale sind uns in die Wiege gelegt.Das stimmt jedoch nur bedingt. In den letzten Jahren ist diese Sichtweise, ja sogar die Dar- win’sche Evolutionstheorie, er- schüttert worden. Es scheint, dass wir selbst unser Genom beeinflussen können und dies vor allem durch Ernährung. Wie soll das funktionieren? Nicht alles ist vererbt ... Ob Gene an- oder abgeschaltet werden, hängt von zwei Mecha- nismen ab: von der DNA- Methy- lierung und der Modifizierung von Histonproteinen. Diese bei- den epigenetischen Mechanis- men spielen eine Rolle, ob Gen- abschnitte gelesen werden und in weiterer Folge Proteine syn- thetisiert werden. Die „Epigene- tik“ im Allgemeinen lässt sich als alle meiotischen und mi - to tischen Veränderungen der Genexpression definieren, die nicht in der DNA-Sequenz fest- gelegt sind. Bisphenol A (BPA), welches als Weichmacher in Plastik zu fin- den war und teils immer noch ist, kann zu Untermethylierung von DNA-Abschnitten führen. Es imitiert das Hormon Östro- gen und ist daher gerade für Kinder eine bedenkliche Subs- tanz. Das Scientific Committee on Emerging and Newly Iden- tified Health Risks (SCENIHR) hat sich kürzlich dafür ausge- sprochen, dass BPA von Neuge- borenenintensivstationen sowie von Stationen für Dialysepatien- ten verbannt werden sollte, da Gesundheitsrisiken für möglich gehalten werden.